Reinhard Hillebrand Rechtsanwalt

Kuriositäten des Erbrechts

 

 

Eine der Wohltaten, die aus der antiken Zeit in die Gegenwart hinüber gerettet worden sind, stellt die Testierfreiheit dar. Nach allgemeiner Ansicht sind Erblassern -abgesehen von Pflichtteilsrechten nächster Angehöriger- in der Verteilung ihres Nachlasses keine Grenzen gesetzt, sofern sie keine sittenwidrigen Regelungen aufstellen. Auch widersinnige sowie rechtlich oder tatsächlich nicht mögliche Bestimmungen oder Bedingungen führen zur Nichtigkeit letztwilliger Zuwendungen. Hiervon abgesehen, bleibt genügend Spielraum, um der Kreativität freien Lauf zu lassen.

 

Wie sich das hinterlassene Gut durch eine List vermehren läßt, zeigte der berühmte Arzt Dr.Hermann Boerhave, der 69jährig am 23.September 1738 in Leiden starb. Unter seinem Nachlaß befand sich ein wohl eingepacktes und versiegeltes Paket, das die Aufschrift trug: „Die einzigen und tieffsten Geheimnisse der Arzneikunst." In der Auktion seiner Bibliothek wurde das Paket zum Preis von 10.000 Gulden zugeschlagen. Der Käufer enthüllte den Schatz und fand zu seiner Überraschung nicht mehr als einen Haufen von Papieren, die sämtlich unbeschrieben waren mit Ausnahme des zuoberst liegenden Blattes, auf dem stand: „Halt' den Kopf kalt, den Leib offen, die Füße warm, so kannst Du aller Aerzte spotten." 1

 

Manche Regelungen, die sich Erblasser ausgedacht haben, wurden nach ihrem Ableben noch für akzeptabel erachtet, andere ließen den Bereich des Durchführbaren oder Hinnehmbaren hinter sich.

 

Spätere Ergänzungen zum Testament hießen früher Nachzettel oder Kodizille. Ein Berliner Bürger namens Balthasar Nesmodi hatte im Jahre 1776 dem Berliner Magistrat sein Testament zur Verwahrung eingereicht, in dem er sich, wie es regelmäßig geschah, das Recht vorbehielt,  Kodizille zu errichten. Von dieser Befugnis machte Nesmodi ausgiebig Gebrauch, bis sich die künftigen Haupterben, die sich in ihrer Erwerbsaussicht bedroht sahen, an den Magistrat wandten, um ein Verbot von weiteren Kodizillen zu erwirken. Die angerufenen Stadtherren lehnten dieses Ansinnen ab, für welches es auch keine Rechtsgrundlage gegeben hätte. Daraufhin richteten die Erbanwärter ein Gesuch unmittelbar an König Friedrich II., und dieser entschied durch einen Akt der Kabinettsjustiz, „daß von dem N. keinerlei Codizilles mehr angenommen werden dürften, da dieser mit den vielen Zettels nur molestiere, und die rechtmäßigen Erben nicht chagriniert werden sollen.“ 2

 

Eine Totenverehrung der besonderen Art legte die im Alter von 30 Jahren im Jahre 1831 in Paris verstorbene Herzogin Luise von Sachsen-Gotha-Altenburg, die in einer im Jahre 1826 geschiedenen Ehe mit Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha (1784-1844) verbunden gewesene Mutter der Prinzen Ernst und Albert, ihrem bald nach dieser Scheidung geheirateten zweiten Ehemann auf, dem zum Grafen von Pölzig erhobenen Leutnant Alexander von Hanstein (1804-1884). Der Witwer erhielt eine bedeutende Jahresrente unter der Bedingung, sich niemals vom Leichnam seiner Gemahlin zu trennen und keine Nacht unter dem Dach eines Hauses zu schlafen, wo sich nicht auch der Sarg mit den sterblichen Überresten der Herzogin befand. Graf von Pölzig heiratete im Jahre 1833 erneut, und erst einige Zeit später soll der Sarg seiner ersten Gemahlin plötzlich über Nacht verschwunden sein. 3

 

Der reiche Erbonkel aus Amerika, dessen unverhofft anfallende Erbschaft den weit entfernten Verwandten in Deutschland zu Wohlstand verhilft –es gab ihn tatsächlich oft, und nicht nur aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Zwei in Berlin lebende Brüder, die Schuhmacher August und Fritz Plocke, von denen ein Vorfahre in der Zeit um 1800 nach Südafrika ausgewandert und im Jahre 1835 gestorben war, bekamen Ende der achtziger Jahre des 19.Jahrhunderts nach langem Rechtsstreit schließlich die Hinterlassenschaft ausgezahlt, die ohne Zinsen eine Million Reichsmark betrug. 2 Der im Jahre 1827 geborene und von Berlin nach Brasilien ausgewanderte Carl Friedrich August Wernicke, der im Jahre 1867 starb, hinterließ ebenfalls ein größeres Vermögen. 4 Zahllose weitere Fälle belegten die Verbundenheit zwischen Mutter- und Auswanderungsland, die erst im Laufe weiterer Generationen in Vergessenheit geriet.

 

Durch den Berliner Rentier Moritz Norrmann, der im Jahre 1856 starb und Eigentümer des Hausgrundstücks Neue Friedrichstraße 53 war, welches im Jahre 1862 mit dem Grundstück Burgstraße 25 zusammengelegt wurde, ist ein Vermächtnis von 1.000 Talern dem Königlichen Musikalien-Inspektor C.F.Behrend „unter der Bedingung vermacht worden, daß er alljährlich am Todestage des Testators in der Mitternachtsstunde vor dessen Hause, Neue Friedrichstraße No.53, einige Trauergesänge ausführen solle.“ Im Oktober 1857 wurde über die erstmalige Ausführung dieser Bestimmung berichtet: „Der Legatar hatte, da der erste Jahrestag herannahte, deshalb bei der Polizei angefragt, und muß wohl die Erlaubniß erhalten habe, denn in der Nacht vom 21. zum 22.d.M. hat er zum ersten Mal die Testaments-Clausel erfüllt. Kurz vor 12 Uhr trug er zuerst allein, dann mit einigen Freunden vierstimmig mehrere ernste Lieder vor. Eine Menge Personen hatte sich als Hörer eingefunden. Zur Aufsicht waren mehrere Schutzleute anwesend.“ 5 Im Frühjahr 1859 wurde das Haus abgerissen, um Platz für den Neubau der Berliner Börse zu schaffen, und konnte die Testamentsklausel nicht mehr erfüllt werden. 4

 

Großzügig nutzte der Komponist Giacomo Meyerbeer, der 72jährig am 2.Mai 1864 in Paris starb, die Testierfreiheit; nachdem das Stadtgericht Berlin sein Testament eröffnet hatte, dauerte die Verlesung des Inhaltes fast zwei Stunden. 2

 

Geradezu Wert auf Ausgefallenheit legen, wenn herkömmlichen Vorurteilen geglaubt werden darf, einige Bewohner der englischen Inseln. Die Grenze zur geistigen Gesundheit hinter sich gelassen hatte am Ende seines Lebens der Schriftsteller Jonathan Swift, der im Alter von 77 Jahren am 19.Oktober 1745 in Dublin starb und die Anordnung hinterließ, sein Vermögen zum Bau eines Irrenhauses zu verwenden. 10 Einen wohlsituierten Landeigentümer in Abbey Hall namens Younghusband plagte bis zu seinem Tode im Jahre 1868 die Erbitterung wegen der Sillboth-Eisenbahn, die gegen seinen Widerstand über sein Gebiet geführt worden war. In seinem Testament bekam einerseits der Advokat, der ihn seinerzeit im Prozeß gegen die Eisenbahngesellschaft vertreten hatte, ein namhaftes Vermächtnis von fast 1.000 Pfund, und Haupterbe wurde ein mit dem Erblasser nicht verwandter Bekannter, dem die Pflicht auferlegt wurde, niemals mit den Direktoren der Eisenbahn ein Wort zu reden, niemals selbst die Bahn zu benutzen und niemals mit der Bahn ein Tier oder andere Güter zu transportieren, widrigenfalls die Erbschaft ihm entzogen und an Familienangehörige des Erblassers übergehen solle. Andererseits wollte der Erblasser die Direktoren der Eisenbahn nicht leer ausgehen lassen; ihnen vermachte er jeweils ¼ Penny. 4 George Bernard Shaw, der mit 94 Jahren am 2.November 1950 starb, war noch bis in seine letzten Lebenstage hinein damit beschäftigt, an den verwickelten Klauseln seines Testamentes zu arbeiten, und zu einem Freund soll er gesagt haben, die letztwillige Verfügung habe ihn mehr Anstrengung gekostet als zehn Bühnenstücke. 10

 

Die rechtliche Grenze nach geltendem Recht stellt die Sittenwidrigkeit dar. Eine Sittenwidrigkeit kann sich ergeben, wenn der Erblasser einen nicht billigenswerten Druck auf die Entschließungsfreiheit des Bedachten ausübt. Das wurde in der Rechtsprechung des Reichsgerichts z.B. angenommen, wenn die Aufrechterhaltung der Ehelosigkeit oder ein Glaubenswechsel zur Bedingung einer Erbeinsetzung erhoben wurde. Ein Fall aus Berlin, in dem die Annahme eines anderen Glaubens eine Rolle spielte und der ohne Einschaltung von Gerichten gelöst wurde, ereignete sich im Jahre 1878. Im Spätsommer dieses Jahres verstarb ein alleinstehender Junggeselle im Alter von über 70 Jahren, der sein Testament beim Stadtgericht hinterlegt hatte. Seine nächste Angehörige war eine Nichte, die einzige Tochter eines vorverstorbenen Bruders, die verheiratet war und sich um den Erblasser neben dessen Haushälterin gekümmert hatte. Das Testament wurde nach seinem Ableben eröffnet. Zur Alleinerbin eingesetzt wurde die Nichte, wenn auch unter der Bedingung, ihren katholischen Ehemann innerhalb von vier Wochen nach Testamentseröffnung zum Übertritt zum evangelischen Glauben zu veranlassen. Es war ein Geldvermögen von rund 60.000 Mark vorhanden; sollte der Ehemann der Nichte den Glaubenswechsel nicht fristgerecht vollziehen, würde diese lediglich 10.000 Mark erhalten und der Rest der Erbschaft der evangelischen Kirche im schlesischen Heimatdorf der Erblassers zufallen. Der bewegliche Nachlaß in der Wohnung des Erblassers sollte der Haushälterin zustehen, allerdings mit der strengen Bedingung, die Schränke und Behältnisse keinesfalls vor Ablauf von sechs Wochen zu öffnen. Nachträge zum Testament behielt der Erblasser sich vor. Daraufhin versuchte die Nichte vier Wochen lang mit Engelszungen, ihren Ehemann, der nicht einmal ein strenggläubiger Katholik war, dazu zu bewegen, seine Glaubensrichtung zu ändern, um nicht auf die in Reichweite befindlichen 50.000 Mark zu verzichten. Der Ehemann der Nichte war hierzu jedoch nicht bereit, denn er erklärte, jeden Konvertiten zu verachten. Die im Testament gesetzte Frist lief ab, und die Nichte mußte sich damit abfinden, nicht Haupterbin zu werden und sich stattdessen mit einem Anteil von 10.000 Mark zu begnügen. Anschließend nahm die Haushälterin nach weiteren zwei Wochen die Haushaltsgegenstände in Besitz, die ihr testamentarisch zugesprochen waren. Zur Überraschung aller Beteiligten entdeckte sie im Schreibsekretär des Erblassers einen Briefumschlag mit der Überschrift „Zu meinem letzten Willen“. Hierin befand sich ein Schriftstück, in welchem der Erblasser anordnete: Falls der Ehemann der Nichte den Glaubenswechsel, zu welchem er im Testament aufgefordert worden ist, tatsächlich vollzogen haben sollte, werden ihn vermutlich alleine die Überredungskünste seiner Frau und die Aussicht auf die Erbschaft zu diesem Schritt veranlaßt haben, und in diesem Falle ordne er an, die Nichte auf einen Betrag von 10.000 Mark zu beschränken, während die Hauptsumme der Kirche zustehen solle. Sofern aber der Ehemann der Nichte seinen Glauben nicht aufgegeben habe, bestehe die Erbschaft zugunsten der Nichte unverkürzt. 2

 

Eine Anordnung, die heutzutage in Anbetracht gestiegener Goldpreise kaum noch bezahlbar wäre, traf der Millionär George Gardner in Boston, der 54jährig am 6.Februar 1885 starb. In seinem Testament legte er fest, seine zweieinhalb Jahre jüngere Ehefrau Mary Ellen Gardner geb.Parker solle eine jährliche Rente erhalten, die ihrem jeweiligen Körpergewicht in reinem Gold entspreche. Im ersten Jahr wog die Witwe 97 Pfund, über die weitere Entwicklung ist leider nichts bekannt. 2

 

Auf welche Weise Erben bereit oder gezwungen waren, Auswirkungen auf ihre Lebensgestaltung hinzunehmen, zeigten über das Beispiel Achim von Arnims (1781-1831) hinaus weitere Fälle aus Preußen. Ein wohlbestallter adliger Rittmeister der Garde in Potsdam verzichtete im Jahre 1889 auf die weitere Offizierskarriere, weil ihn eine Testamentsklausel verpflichtete, sich der juristischen Laufbahn zu widmen und vorerst das Assessorexamen abzulegen. Im Alter von 69 Jahren starb im Jahre 1896 in Greifswald der älteste deutsche Kandidat der Theologie, der bis zu seinem Lebensende an der Universität eingeschrieben war; in seiner Jugend hatte ihn ein reicher Verwandter zum Erben eingesetzt für den Zeitraum, bis er eine Anstellung erhalte, und folglich dehnte der Begünstigte, möglicherweise von einem Kommilitonen der juristischen Fakultät beraten, die Studienjahre bis zu seinem Lebensende aus. 2

 

Über die Form der Errichtung von Testamenten wurden aus Nord- und Südamerika sonderbare Fälle beschrieben, die insbesondere deshalb überraschen, weil das Zustandekommen für gültig gehalten wurde. Auf die technische Errungenschaft des Phonographen, die Thomas A.Edison (1847-1931), der sich im Jahre 1889 zwecks Vorführung dieses Gerätes zu Besuch in Berlin befand, eingeführt hatte, griff Stephen Andersen in New York zurück, der immerhin ein Vermögen von rund 100 Millionen Dollar und 40 Häusern hatte; er sprach sein Testament auf Phonograph, und nach seinem Tode im Jahre 1891 wurde dessen Wirksamkeit anerkannt. Über einen ‚mexikanischer Sonderling‘ wurde im Jahre 1893 berichtet, er habe sich sein Testament auf die Brust tätowieren lassen. Auch in diesen Jahren schrieb im brasilianischen Rio de Janeiro der ebenso reiche wie exzentrische Don Gioachim Penseroso sein Testament mit dem Finger in den Staub auf seinem Schreibtisch, und zwar zwei Stunden vor seinem Tode; wie sich herausstellte, bekam sein gesamtes Vermögen ein armer entfernter Verwandter, dem auch vor Gericht das Erbe zuerkannt wurde. 2 Der taugliche Ort für die Errichtung eines Testamentes wurde im Jahre 1925 diskutiert, und zwar hinsichtlich eines Luftschiffes. 11

 

Einen bittersüßen Einfall, wie er seinen Erben Steine statt Brot geben könnte, hatte William Person, ein reicher Junggeselle im US-Bundesstaat Alabama, der im Jahre 1891 starb. Er wünschte sich, auf dem Friedhof in der Familienkapelle neben dem Marmordenkmal für seinen Vater ebenfalls ein Monument zu bekommen, welches für ihn vollständig aus Käse errichtet werden sollte. Den Angehörigen und Erben wurde aufgegeben, über die Gedächtnisstatue zu wachen, damit sie nicht von Maden, Mäusen, Ratten oder ähnlichen Tieren zernagt würde. Diejenigen Erben, die eine Käsesorte wählten, die künftig einem Gärungsprozeß unterliegen sollte, hätten ihren Anteil am Nachlaß an den städtischen Magistrat abzugeben. Die Erben entschieden sich, das Testament anzufechten. Nicht überliefert ist, ob der zur Entscheidung über den Fall berufene Richter dachte: „Alles Käse“. 2

 

Auf ewige Zeiten hätte ein Testament Gutes bewirken können, das von Dr.Goldberger in Budapest stammte, der im Jahre 1888 starb. Er hinterließ sein gesamtes Vermögen in Höhe von einer Viertelmillion Gulden mit dem Zusatz, das Geld so lange verzinslich anzulegen, bis mit Hilfe von Zins und Zinseszins das Kapital ausreichen werde, um sämtliche Armen der Welt mit Unterstützung versorgen zu können. Nicht irgendein Börsenverlust, irgendein Krieg, irgendeine Inflation, irgendein Kommunismus kam der vollständigen Durchführung dieser wohlmeinenden Idee in die Quere, sondern bereits im Jahre 1890 auf Veranlassung der neidischen Familie der Budapester Gerichtshof, der auf die Klage der Verwandten hin das Testament für unvernünftig erklärte und die gesetzliche Erbfolge eintreten ließ. 2 Diese Idee hatte Vorläufer; über das „Testament eines Rechenmeisters" hieß es: „Fortunatus Dreynull, ein Rechenmeister zu Strasburg, hinterließ ein Testament, in welchem er Folgendes erzählt und verordnet: ‚Mein vielgeehrter Großvater, Prosperus Dreynull, unterrichtete mich im Schreiben und Rechnen. Als ich kaum acht Jahr alt war, bewies er mir einst, daß, wenn man die Interessen jährlich zum Kapital schlage, sich dasselbe in hundert Jahren um hundert und dreißig mal vermehrt habe. Die Aufmerksamkeit, mit welcher ich ihm zuhörte, schien dem alten Manne zu gefallen; er zog plötzlich 24 Livres aus seiner Tasche, und sagte mit einem Enthusiasmus, der mir noch jetzt vor Augen schwebt: „Mein Kind, erinnere dich, so lange du lebst, daß mit Oekonomie und Rechenkunst dem Menschen nichts auf der Welt unmöglich ist. Hier schenke ich dir 24 Livres, trage sie zu einem Kaufmanne, meinem Freunde, der, aus Gefälligkeit für mich, sie in seinen Handel nehmen wird. Jährlich sollst du die Interessen dazu schlagen, und dann einst bei deinem Tode für die Ruhe deiner und meiner Seele eine fromme Stiftung davon gründen." Ich habe seinem Befehle gehorcht. Aus den 24 Livres sind seit jener Zeit (in 62 Jahren) 500 geworden, die ich, Kraft dieses, in fünf gleiche Theile dividire, und verordne, daß sie, gleich der Stammsumme meines Großvaters, immerfort multiplicirt werden sollen, jedoch also, daß alle hundert Jahr ein Fünftheil gehoben und angewendet werde. Das erste Fünftheil wird in hundert Jahren betragen 13,000 Livres, für welche ein Morast urbar gemacht werden soll, der neben meinem Geburtsdorfe liegt. -Hundert Jahre später wird das zweite Fünftheil eine Million und siebenmalhundert tausend Livres betragen; von dieser Summe sollen achtzig Preise gestiftet werden, zur Aufmunterung der Wissenschaften, des Ackerbaues, u.s.w. -Hundert Jahre später ist das dritte Fünftheil bis zu zweihundert und zwanzig Millionen angewachsen. Hiervon sollen im ganzen Reiche hundert patriotische Leihhäuser angelegt werden, welche jedem fleißigen und redlichen Bürger ohne Interessen Vorschüsse machen. Ferner soll man in den vornehmsten Städten zwölf Museen und zwölf öffentliche Bibliotheken gründen. Jede derselben soll 100,000 Livres jährliche Renten haben, um 40 verdienstvolle Gelehrte zu unterhalten. -Hundert Jahre später wird das vierte Fünftheil dreißig Milliarden betragen. Hiervon sollen hundert neue Städte gebaut, und jede mit 100,000 Menschen bevölkert werden. Man könnte einwenden, daß in ganz Europa nicht so viel baares Geld vorhanden sey; aber ich überlasse den Exekutoren meines Testamentes, das Geld nach Belieben in Immobilien zu verwenden. Endlich das letzte Fünftheil wird nach Ablauf von 500 Jahren bis auf drei tausend neunhundert Milliarden gestiegen seyn. Hiervon sollen zuerst unsere eigenen Staatsschulden, und dann, wenn es zureicht, die Schulden der Engländer bezahlt werden, aus Dankbarkeit für Newtons schönes Werk, die Universal-Rechenkunst betitelt. Die Exekutoren des Testaments, sechs an der Zahl, sollen aus den redlichsten Männern gewählt werden, und jeder soll sterbend seinen Nachfolger ernennen. Für ihre Bemühung mögen sie, bei Hebung des vierten Fünftheils, einen kleinen Bruch von 32 Millionen unter sich theilen.'" 12 Diese Berechnungen, die in vielfacher Gestalt in sagenhaften Berichten wiederkehren, dürften letztlich auf den Inder Sissa ibn Dahir zurückgehen, der im 3./4.Jahrhundert vor Christus lebte und als Erfinder als Schachspiels gilt. Ein anderes Beispiel praktischer Anwendung war z.B. ein Richter in Norwich/England, der im Jahre 1724 starb. Er ordnete in seinem Testament an, 4.000 Pfund Sterling 60 Jahre lang in der Weise anzulegen, die Zinsen mit dem Kapital zu verbinden und weiter verzinslich arbeiten zu lassen. Nach Ablauf der Zeit sollte eine Schule gestiftet werden, in welcher 120 Zöglinge ohne Entgelt ernährt, gekleidet und erzogen werden sollten. Zu Testamentsvollstreckern ernannte er einen Bischof und weitere angesehene Personen. Im Mai 1784 sei die Summe von 74.000 Pfund Sterling angesammelt gewesen, und habe die Schule errichtet werden können. 12

 

Testamentarische Verfügungen, deren Charakter mit ‚kauzig‘ umschrieben werden könnte, gab es auch im Nachbarland Frankreich. Vermutlich unschuldig an dem Prozeß, der nach seinem Tode um die Auslegung seines Testamentes geführt wurde, war der Anfang 1857 in Paris verstorbene Herr von M., der eine eigenhändig geschriebene letztwillige Verfügung hinterließ, in welcher die Worte standen: Und um meinen Neffen Carl und Heinrich meine volle Zuneigung zu beweisen, „je lègue à chacun d'eux (oder: deux) cent mille francs." In der ersten Lesart hätten die Begünstigten jeder 100.000 Francs erhalten, in der zweiten Lesart hätte jeder 200.000 Francs beanspruchen können; weil das Papier vor dem Trocknen der mit Tinte geschriebenen Worte gefaltet worden war, hatten einige Buchstaben Flecken bekommen, und war unklar, ob das Apostroph auch einer jener Flecken wäre, wie die Vermächtnisnehmer behaupteten, oder ein gewollt gesetztes Zeichen, wie es der Erbe darstellte. 1 Diese Erzählung war vermutlich nicht mehr als die Wiederholung  einer Geschichte, die schon im Jahre 1813 im „Morgenblatt für gebildete Stände" abgedruckt wurde. Zuletzt bekanntgeworden ist der Fall von Louis Mantin (1851-1905), der wohlhabend genug war, um sein Haus 100 Jahre lang konservieren zu lassen, damit der Nachwelt überliefert werde, wie ein gutbürgerlicher Herr zu seiner Zeit gelebt habe. 6 Derjenige Mann, der für den größten Franzosen gehalten wird, Kaiser Napoléon I. (1769-1821), zeigte in seinem Testament eine kleingeistige Seite; er setzte für den ehemaligen Unteroffizier Marie André Nicholas Cantillon, der im Jahre 1818 in Paris ein Attentatsversuch gegen den Herzog von Wellington (1769-1852), den Sieger in der Schlacht von Waterloo, unternommen hatte und im anschließenden Strafverfahren freigesprochen worden war, zur Belohnung seines Verhaltens ein Vermächtnis in Höhe von 10.000 Francs aus. 5

 

Die Fälschung von Testamenten hat wahrscheinlich eine ähnlich lange Tradition wie die Errichtung von Testamenten. Auch die heilige römische Kirche, die parallel zum Niedergang der römischen Staatsgewalt ihren Aufstieg erlebte und bei der eine Aufzählung ihrer eigenen Verstöße gegen die biblischen zehn Gebote umfangreicher wäre als die Bibel selbst, war nicht ganz unbeteiligt; gegen das zehnte Gebot, wonach nichts begehrt werden solle, was dem Nächsten gehört, soll zu Lasten der Angehörigen von Kardinal Dr.jur. Ercole Consalvi verstoßen worden sein, der Staatssekretär des seit dem Jahre 1800 amtierenden Papstes Pius VII. (1742-1823) war und am 24.Januar 1824 in Rom starb. Anstatt Gerechtigkeit zu erfahren, wurden Verwandte des Kardinals, die gegen den willkürlichen Wegfall von Vermächtnissen geklagt hatten, zur Zeit des Kirchenstaates verfolgt; ein Erbe starb im Gefängnis, ein anderer Erbe verlor sein Vermögen im Streit um den Nachlaß. 2   Kriminellen Eigennutz bewies Amtsrichter Dr.Franz Eugen Töpelmann in Dresden, dem eine Gerichtsabteilung für freiwillige Gerichtsbarkeit unterstand und der sich durch Aktienspekulationen verschuldet hatte; er fälschte erst ein Testament zu seinen Gunsten, mußte es dann, weil der zuvor todkranke Testator sich überraschend wieder erholte, aus der amtlichen Verwahrung verschwinden lassen, und wurde deswegen im Jahre 1892 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. 2

 

Mißachtete Testamente sind ebenfalls eine Geschichte für sich. Der erste überlieferte Fall war der Dichter Vergil, der am 21.September 19 in Brindisi starb und angeordnet hatte, die von ihm hinterlassenen Manuskripte nach seinem Tode zu verbrennen; weil Kaiser Augustus sich nicht an dieses Gebot hielt, weiß die Nachwelt von der „Aeneis". Am bekanntesten ist die unterbliebene Vernichtung des Nachlasses von Franz Kafka (1883-1924), für die sich entgegen dem Wunsch des Dichters dessen Freund und Testamentsvollstrecker Max Brod (1884-1968) entschied. 10

 

Den Lauf der Welt ändern können auch solche Testamente, die von der Obrigkeit, der sie mit der Erwartung einer sicheren Bewachung übergeben worden sind, schlicht und einfach vergessen werden. Ein derartiges Vorkommnis gab es mit Testamenten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die von der DDR unbeachtet blieben und erst nach 1990 ans Tageslicht kamen. Einen solchen Fall hat es ebenfalls schon einmal gegeben; im Jahre 1887 tauchten im Archiv der ungarischen Stadt Pest ungefähr 500 vergessene Testamente auf. 2 Früher häufiger als heute werden hinterlegte Testamente vom Gericht trotz guten Willens nicht zugeordnet, weil das Schicksal der testierenden Person nicht aufgeklärt werden kann; es stammte z.B. im Jahre 1879 das älteste im Stadtgericht Berlin vorhandene und zwar eröffnete, aber nicht umgesetzte Testament aus dem Jahre 1682. 2

 

Das Erbrecht ist und bleibt eines der streitanfälligsten Rechtsgebiete; es schrieb z.B. der langjährige Richter Dr.Horst Schneble (1909-2000) in seinen Lebenserinnerungen über die Zeit nach der Ernennung zum Landgerichtsrat im Jahre 1939: „Die Strafkammer des Landgerichts war unter anderem für Sittlichkeitsvergehen zuständig. In diesem Zusammenhang habe ich im Bekanntenkreis oft gehört, da müsse ich doch die ganze Abscheulichkeit und Gemeinheit der Menschen aus erster Hand kennengelernt haben. Aber das war ein Irrtum. Schlimmer ging es in Ehescheidungsprozessen zu, für die ich vorübergehend auch einmal mit zuständig war. Und den Gipfel menschlicher Niedertracht habe ich während meiner Tätigkeit als Nachlaßrichter erlebt, wenn es um das Erbe ging." 7 Gerichtsprozesse um Erbschaften, vor allem wegen der Gültigkeit und Auslegung von Testamenten, können sich jahre- und jahrzehntelang, in Ausnahmefällen sogar jahrhundertelang hinziehen. Um ein Beispiel aus Berlin zu nennen, dauerte es nach dem Tode des Schriftstellers und Verlegers Friedrich Nicolai und der Eröffnung von dessen Testament im Jahre 1811 bis zum Jahre 1857, bevor sich die Erben über alle Einzelheiten der letztwilligen Verfügung ihres Ahnherrn einig waren; eine familieninterne Auseinandersetzung, die in den Lebenserinnerungen des Enkels Gustav Parthey (1798-1872) mit keinem Wort erwähnt wurde. 5 Auch gerne verschwiegen werden die Gerichtsverfahren, die sich z.B. nach dem Tode der Schriftsteller Gottfried Keller (1819-1890) in Zürich und Gustav Freytag (1816-1895) in Wiesbaden entwickelten. 2 Vielleicht mehr Weisheit bewiesen diejenigen Personen, die von vorneherein auf ein Testament verzichteten; Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der übrigens seinerseits eine detaillierte letztwillige Verfügung hinterließ, äußerte folgende Einstellung: „‚Denkst du nicht auch an ein Testament?/‘ Keineswegs! –Wie man vom Leben sich trennt,/ So muß man sich trennen von Jungen und Alten,/ Die werden’s alle ganz anders halten.“ 8 Oder mit den Worten Theodor Fontanes (1819-1898) im „Stechlin": „Ein Testament hab ich nicht gemacht. Es gibt doch bloß immer Zank und Streit." 9

 

 

 

 

Quellen

1 „Berliner Pfennig Blätter"

2 „Berliner Gerichts-Zeitung“

Karoline Bauer: „Verschollene Herzensgeschichten Nachgelassene Memoiren“, hrsg. von Arnold Wellmer, Bd.2, Berlin 1880, S.307 f.

4 ‚Kreuz-Zeitung'

5 ‚Vossische Zeitung‘

6 http://www.allier.fr/978-la-maison-mantin.htm

7 Horst Schneble: „Ein Leben unter vier Systemen", Lübeck 1997, S.76

8 „Zahme Xenien“; WA I 3, S.282

9 Theodor Fontane: „Der Stechlin", Berlin 1943, S.136

10 Rainer Schmitz: „Was geschah mit Schillers Schädel?", Frankfurt/Main 2006, Sp.1430, 1434 f.

11 „Deutsche Juristen-Zeitung" 1925, Sp.101

12 „Der Freimüthige"