Reinhard Hillebrand Rechtsanwalt

VII.‚Drittes Reich‘

 

Das Bürgertum an den Wahlurnen und die konservativen Eliten an den Schalthebeln von Verwaltung und Militär verhalfen Anfang 1933 den Nationalsozialisten an die Macht. Der 85jährige Reichspräsident und Generalfeldmarschall a.D. Paul von Hindenburg, der 1918 in der Schlußphase des Krieges den Kaiser im Stich gelassen hatte, war kein Verteidiger der Demokratie; er beförderte Adolf Hitler (1889-1945) zum Reichskanzler und weihte hierdurch die Republik und den Staat insgesamt dem Untergang. Ohne das parlamentarische Bündnis mit den Deutschnationalen wäre eine Regierung der Nationalsozialisten nicht möglich gewesen, die auch nach der Reichstagswahl vom 5.März 1933 alleine keine Mehrheit hatten. Die Liberalen waren zur Randerscheinung geworden und stimmten wie ihr Reichstagsabgeordneter und spätere Bundespräsident Theodor Heuß (1884-1963), der in seinen politischen Anfängen 1903 in Spandau Helfer für die Landtagswahl gewesen war, gemeinsam mit der Zentrumsfraktion und den Rechtsparteien am 23.März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zu, mit dem das Parlament seine Rechte aufgab. Schritt für Schritt übernahm die braune Bewegung den Staat.

 

Der Bezirk Spandau, der im Sommer 1933 eine Einwohnerzahl von 146.472 Menschen hatte, wurde ebenfalls gleichgeschaltet, und das in der NSDAP vertretene kleine und mittlere Bürgertum bekam die Verantwortung. Am 6.März 1933 wurde die Hakenkreuzflagge auf dem Rathausturm aufgezogen. Die traditionellen bürgerlichen Parteien saßen nach der Bezirksverordnetenwahl vom 12.März 1933 nur noch mit einem Abgeordneten des Zentrums im Parlament, die Liberalen waren nicht mehr vertreten und die Spandauer Ortsgruppe der Mittelstandspartei, der ehedem Justizrat Dr.Georg Baumert angehörte, hatte sich schon im Januar 1933 selbst aufgelöst. Der Wahlkampf der SPD, die noch fünf Bezirksverordnete stellte, war z.B. durch das Verbot des ‚Volksblattes’ und einer Kundgebung auf dem Rathausvorplatz am 1.März 1933 erschwert worden. Alle Parteien hatten der NSDAP zu weichen. Auf der Grundlage des ‚Berufsbeamtengesetzes’ vom 7.April 1933 wurden in Spandau 18 Beamte, 31 Angestellte und 56 Arbeiter aus politischen oder rassischen Gründen entlassen; unter ihnen befanden sich drei ‚jüdische’ Beamte und elf ‚jüdische’ Angestellte, und von diesen 14 Personen jüdischer Herkunft waren elf Ärzte, denen auch wie im Falle von Prof.Dr. Bernhard Zondek (1891-1966), seit 1926 Direktor der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses Spandau, Fürsprache aus dem Ausland nichts nutzte. Im Verhältnis zu anderen Bezirken war die Anzahl der Entlassenen gering, weil in Spandau nach einem Zeitungsbericht vorwiegend national eingestellte Beschäftigte vorhanden waren. Aufbruchsstimmung verbreitete sich über den harten Kern der Nationalsozialisten hinaus; viele Menschen sahen für ihr Leben Aussicht auf wirtschaftliche Verbesserung oder beruflichen Aufstieg wie z.B. der 32jährige Walther Wenck (1900-1982), Konkordiastraße 7, Oberleutnant im Infanterieregiment 9, der kurz vor Kriegsende 1945 General der Panzertruppe und Hitlers letzte Hoffnung für einen Endsieg war. Repressalien ausgesetzt waren 1933 Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitglieder; an den Folterkellern der SA vorbei liefen die Richter des Amtsgerichts Spandau zu ihrer Arbeit. Später waren auch einige Kirchenvertreter gefährdet. In erster Linie wurde in den folgenden Jahren die Entrechtungspolitik gegenüber den Juden planmäßig durchgeführt. Im Jahre 1933 lag der Anteil von ‚Juden’ an der Spandauer Bevölkerung bei 0,5%, während es im Berliner Durchschnitt 4% und im Deutschen Reich ungefähr 1% waren; in diesem Berliner Bezirk lebten zum Beginn des ‚Dritten Reiches’ 725 ‚Juden’, von denen 643 der jüdischen Gemeinde angehörten. Der Antisemitismus in Spandau reichte, wenn die Judenverfolgungen von 1347/1348 und 1510 außer Betracht bleiben, bis in das 19.Jahrhundert zurück. Einerseits bemühten sich die Nationalsozialisten um einen Anschein von Recht, andererseits gehörten willkürliche Maßnahmen zu ihrer Wesensnatur. Die Stimme einer mutigen Minderheit war der Schriftsteller Ernst Wiechert (1887-1950), der im Jahre 1935 in einer Rede vor Studenten in München äußerte, „es kann wohl sein, daß ein Volk aufhört, Recht und Unrecht zu unterscheiden, ...aber dieses Volk steht schon auf einer jäh sich neigenden Ebene...“. 

 

 

Das Amtsgericht Spandau unterwarf sich der Durchführung nationalsozialistischer Rechtsvorstellungen. Sollte es zu irgendeinem Zeitpunkt innergerichtlichen Protest gegeben haben, drang er nicht nach außen. Im Gegenteil schien das Spandauer Amtsgericht bereit zu sein, sich der Neigung von anderen deutschen Gerichten anzuschließen, eine Diskriminierung auch dann zu erstreben, wenn es dafür keine gesetzliche Grundlage gab. Im Jahre 1936 forderte das Grundbuchamt von einem ins Ausland geflüchteten Grundstücksverkäufer die Vorlage einer devisenrechtlichen Genehmigung, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht vom Gesetzgeber eingeführt worden war. Eine gesetzestreue Einstellung hatte dagegen ein Spandauer Zivilrichter, der 1938 auf den bislang fortgeltenden Mieterschutz für ‚Juden‘ hinwies. Den Posten von Amtsgerichtsdirektor Dr.Heinrich Siebert, der im Frühjahr 1934 in gleicher Funktion nach Schöneberg versetzt wurde, erhielt der seit 1909 in Spandau tätige bisherige Amtsgerichtsrat Paul Hanow, der im Frühjahr 1936 mit dem Erreichen der Altersgrenze in Ruhestand ging. Direktor in Spandau wurde ihm nachfolgend Landgerichtsrat Karl Grebe aus Kassel. Nicht wenige Gerichtsmitarbeiter traten der NSDAP bei, welche die einzige in Deutschland zugelassene Partei war. Im Frühjahr 1933 schien es nach dem Urteil des damaligen Referendars Sebastian Haffner (1907-1999), der am Jahresende das Zweite Staatsexamen ablegte, bereits ausgeschlossen zu sein, irgendjemand könne „Amtsgerichtsrat werden, ohne Nazi zu werden“. Von 293 Assessoren, die zwischen 1933 und 1936 ernannt wurden, waren 99% Mitglied der NSDAP, und von diesen waren wiederum bereits 66% zwischen 1922 und 1933 der Partei beigetreten. Alleine zwischen 1933 und 1935 verdoppelte sich fast der Anteil der Mitglieder der NSDAP, die ihrer Herkunft nach zur Beamtenschaft gehörten, von 6,7% auf 13,0%. Vollständige Zahlen über die Parteimitgliedschaft von Richtern in der Zeit von 1933 bis 1945 sind nicht vorhanden; es gab nur eine Anmerkung Roland Freislers, wonach im Jahre 1938 in Deutschland 54,28% aller Richter „der NSDAP oder ihren Gliederungen angehörten“. Politisch abgelehnte Richter wurden 1933, aus rassischen Gründen unerwünschte Richter von 1933 bis 1935 aus dem Dienst entfernt. Im Frühjahr 1933 wurden am Amtsgericht Spandau Amtsgerichtsrat Max Flatau (1871-1943), der ein Jahrzehnt später im Konzentrationslager Theresienstadt ums Leben kam, und zwei Justizangestellte beurlaubt.  Den höchsten Aufstieg erlebte von den Spandauer Richtern der seit 1926 am Amtsgericht Spandau beschäftigte Amtsgerichtsrat Dr.Willi Geffroy (1887-1945), der nach 1933 innerhalb der Justiz mehrfach befördert, Reichsgruppenführer der Richter und Staatsanwälte innerhalb des Bundes Nationalsozialistischer Juristen (BNSDJ), im Jahre 1943 SS-Obersturmbannführer und zuletzt wenige Wochen vor Kriegsende Präsident des Landgerichts Potsdam wurde. Alle Justizbediensteten leisteten 1934 nach dem Tode von Reichspräsident Hindenburg einen persönlichen Treueeid auf den „Führer und Reichskanzler“ Hitler. Die Justiz wurde 1935 von einer Landes- zu einer Reichsangelegenheit. Im gleichen Jahre wurde der bisher faktisch anerkannte Anspruch jedes Assessors auf Übernahme in den Staatsdienst abgeschafft, der durch einen Ausleseprozeß der Bewerber mit besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Überzeugung abgelöst wurde; eine Regelung, die abgesehen von der ideologischen Färbung nach 1945 beibehalten wurde. Lediglich mit politisch angepaßten und rassisch überprüften Richter arbeitete die Gerichtsbarkeit bis zum bitteren Ende im Frühjahr 1945.

 

Die Anwaltschaft hatte im ‚Dritten Reich‘ ein ähnliches Schicksal wie alle anderen staatsnahen Tätigkeiten. Träger eines im Wesensgehalt freien Berufes zu sein, war der nationalsozialistischen Weltordnung für die Stellung des Anwalts fremd. Stattdessen war eine enge Bindung an die Wertvorgaben des Staates und der Partei angestrebt, die ähnlich wie bei allen anderen Juristen durch Ausbildung, Zulassung und Überwachung gesichert wurde. Der Gedanke, im ‚Dritten Reich’ die „Anwälte als wirkliche Staatsdiener“ zu behandeln, wie es der früheren preußischen Praxis bis 1879 entsprochen hätte, lag für den Nationalsozialismus nahe, wurde aber nur annähernd dem Geiste und erst zur Zeit des Zweiten Weltkrieges in Ansätzen auch der Form nach verwirklicht.

 

Durch die Berufsverbote gegen die ‚jüdischen’ Rechtsanwälte und weitere Maßnahmen gingen nach Anfang 1933 in Deutschland die Zulassungszahlen zum ersten Mal überhaupt seit 1879 dauerhaft zurück. Am 1.April 1933 waren in Deutschland 19.500 Anwälte zugelassen, während am 1.Januar 1939 bei einer gestiegenen Bevölkerungszahl und verbesserten Wirtschaftslage nur noch 17.211 Anwälte tätig waren. Im Bezirk des Kammergerichts waren Anfang 1933 fast die Hälfte der Anwälte und mehr als die Hälfte der Notare ‚nichtarischer‘ Herkunft, die innerhalb der folgenden fünfeinhalb Jahre vollständig aus dem Berufsleben gedrängt wurden.

 

Wirtschaftlich betrachtet gehörte die Rechtsanwaltschaft zu den Hauptnutznießern des Nationalsozialismus, und die Verbesserung ihrer Einkommenslage dürfte auch den Unpolitischen und Nichtüberzeugten unter ihnen geholfen haben, sich mit den dunklen Seiten der Zeit abzufinden. Die finanziellen Folgen der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik gegen die ‚Juden’ für breite Massen der deutschen Bevölkerung, die ein Wesensmerkmal der von Götz Aly sogenannten „Gefälligkeitsdiktatur“ genannt worden sind, brachten den Rechtsanwälten wie kaum einem anderen Berufsstand Vorteile. Die Geschäftslage des ‚arischen’ Teils der Anwaltschaft verbesserte sich durch den Verlust an Konkurrenz, der in Berlin am spürbarsten war. Der Mehrheit der Anwälte ging es besser, weil es einer Minderheit schlecht erging. Die Entwicklung wurde von der Mehrheit ohne Anzeichen eines schlechten Gewissens begrüßt. Rechtsanwalt Dr.Paul Ronge (1901-1965) in Königsberg/Ostpreußen erlebte im Februar 1933 folgendes: „Einer von den neuen Kollegen hat mir ganz offen gesagt, daß er für sich Konjunktur erhoffe, weil die jüdischen Praxen eingehen werden.“ Eine Hebung der wirtschaftlichen Lage der ‚arischen’ Anwälte trat noch nicht unmittelbar nach dem Frühjahr 1933 ein, denn von einem Stand von 19.500 Anwälten in Deutschland am 1.April 1933 waren die Zulassungszahlen trotz der ersten Berufsverbote für politisch und rassisch unerwünschte Anwälte lediglich auf 18.782 am 1.Oktober 1935 gesunken. Zusätzliche Hilfen des Gesetzgebers im Jahre 1935 beschleunigten die Besserung der Einkommensverhältnisse. Das Reichsjustizministerium hatte eine Erhöhung bis auf eine Zahl von rund 30.000 Anwälten in Deutschland im Jahre 1942 ohne Eingreifen des Gesetzgebers errechnet und sah nach den Worten eines Ministerialbeamten die „Pflicht, den vollkommenen Zusammenbruch der deutschen Anwaltschaft zu verhindern, der eintreten würde, wollte man dem drohenden Zustrom seinen Lauf lassen.“ Durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.Dezember 1935 wurde eine Bedürfnisprüfung vor einer Zulassung neuer Anwälte in die Reichs-Rechtsanwaltsordnung eingeführt. Es sollten beim jeweiligen Gericht „nicht mehr Rechtsanwälte zugelassen werden, als einer geordneten Rechtspflege“ dienlich seien. Für das Jahr 1936 wurde für das gesamte Deutsche Reich ein restlicher Bedarf von lediglich 450 Anwälten festgelegt, die eine neue Zulassung erhalten sollten. Ein Rechtsmittel gegen die Versagung einer Zulassung gab es nicht. Im gleichen Monat wurde durch das „Gesetz zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung“ das Beratungsmonopol der Anwälte gestärkt und zugleich eine Rechtsgrundlage geschaffen, um die Dienstleistungen der politisch und rassisch mißliebigen Rechtskundigen, die vorher aus dem Staatsdienst und der Anwaltschaft entfernt worden waren, zu unterbinden. Schließlich wurde durch die Senkung der Zuständigkeitsgrenze der Amtsgerichte auf 500 Reichsmark ab dem Jahre 1936 die Zahl der anwaltspflichtigen Prozesse vor dem Landgericht erhöht. Weitere Schritte, die zur Vermehrung des Wohlstandes der Anwaltschaft beitrugen, waren die allgemeine wirtschaftliche Erholung in Deutschland aufgrund der Vorbereitung des Krieges, die im April 1937 eine Unterschreitung der Zahl von einer Million Arbeitslosen und in den folgenden Jahren teilweise Arbeitskräftemangel mit sich brachte, und der Wegfall der Gewerbesteuer für Rechtsanwälte in Preußen ab 1.April 1937. Im Jahre 1937 wurde die Einrichtung der Fachanwälte zuerst auf dem Gebiet des Steuerrechts geschaffen. Der Zudrang zum Notariat verringerte sich, nachdem im gleichen Jahr die bereits bis 1920 geltenden Regelungen über eine Bedürfnisprüfung wieder eingeführt worden waren. In der Summe aller Maßnahmen stieg von 1933 bis 1938 der durchschnittliche Jahresumsatz der deutschen Anwälte von 6.500 Mark auf 12.000 Mark, d.h. um 84,6%. Die Steigerung des Umsatzes innerhalb dieser Berufsgruppe, der mit einer ähnlichen Erhöhung des Gewinns einhergegangen sein dürfte, war höher als diejenige des gesamten Volkseinkommens in Deutschland, das im gleichen Zeitraum von 46.514.000 Mark auf 79.722.000 Mark, d.h. um 71,3% zunahm.

 

Die Standesorganisation der Rechtsanwälte warf sich ebenso wie diejenige der Richter im Jahre 1933 in die Arme der Nationalsozialisten. Im Jahre 1935 schrieb der aus Berlin ins Exil geflüchtete Anwalt Rudolf Olden (1885-1940): „In keinem Land der westlichen Zivilisation hätte die Advokatur ihre Rechte ohne den Versuch der Verteidigung aufgegeben. In Deutschland hat sie es mit dem Ruf ‚Heil Hitler’ getan.“ Gemäß § 5 Nr.4 Rechtsanwaltsordnung in der Fassung des Gesetzes vom 20.Dezember 1934 war in Form einer „muß“-Bestimmung angeordnet, die Zulassung zu versagen, „wenn die Persönlichkeit des Antragstellers nach seinem bisherigen Verhalten keine Gewähr für zuverlässige Berufsausübung und gewissenhafte Erfüllung der anwaltlichen Standespflichten bietet.“ Für die Prüfung der Weltanschauung war auf diese Weise Sorge getragen. Assessoren, die nicht Mitglieder der NSDAP waren, hatten damit zu rechnen, alleine aufgrund dieses Umstandes keine Anwaltszulassung zu erhalten. Es wurde z.B. Assessor Günter Nollau (1911-1991) in Dresden erst nach dem dritten Antrag auf Anwaltszulassung und sobald er einen Aufnahmeantrag für die NSDAP unterzeichnet hatte, im Jahre 1941 die Zulassung erteilt; in seinen Lebenserinnerungen schrieb er rückblickend selbstkritisch: „...die beruflichen Sorgen belasteten mich weniger als das Gefühl, erniedrigt worden zu sein und –noch bitterer- mich durch eine Konzession nach der anderen selbst erniedrigt zu haben.“ Seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung vom 13.Dezember 1935, das eine Zulassung nach Bedarf und durch den Reichsjustizminister einführte, hatten Anwälte nach ihrer Zulassung vor dem Präsidenten der Rechtsanwaltskammer folgenden Eid gemäß § 19 RAO zu schwören: „Ich schwöre, dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler Treue zu halten und die Pflichten eines Deutschen Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“

 

Spandauer Rechtsanwälte und Notare bemühten sich bestenfalls, durch Anpassung und Unauffälligkeit den Anforderungen des ‚Dritten Reiches’ gerecht zu werden. Anfang 1933 war ein neuer Höchststand an Zulassungen in Spandau erreicht. Im Bezirk hatten 26 Rechtsanwälte ihre Niederlassung, von denen 15 zugleich Notare waren. In der Reihenfolge ihres Zulassungszeitpunktes:

 

-Rechtsanwalt und Notar Justizrat Alfons Loewe

-Rechtsanwalt und Notar Justizrat Max Freiherr von Lyncker

-Rechtsanwalt und Notar Alexander Kranich

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Johannes Hentschel

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Arthur Karsen

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Georg Hertzberg

-Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt

-Rechtsanwalt Dr.Max Jacobi

-Rechtsanwalt Dr.Ernst Ladwig

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Leonhard Arand

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Schneider

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Oskar Altenberg

-Rechtsanwalt und Notar Friedrich Baumert

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Otto Dames

-Rechtsanwalt und Notar Wilhelm Voigt

-Rechtsanwalt Maurice Hirschfeld

-Rechtsanwalt Fritz Rosenbaum

-Rechtsanwalt Gottfried Raddatz

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Günther Böhmer

-Rechtsanwalt Dr.Karl Baeseler

-Rechtsanwalt Herbert Schiwek

-Rechtsanwalt Karl Friedrich Wüllner

-Rechtsanwalt Franz Binternagel

-Rechtsanwalt und Notar Justizrat Arthur Goltzen

-Rechtsanwalt Hans Guttmann

-Rechtsanwalt Bernhard Wiedenhöft

 

Die Zahl der Anwälte und Notare in Spandau wurde durch die Berufsverbote für die ‚jüdischen’ Anwälte sowie einige Todesfälle älterer Kollegen und die Beschränkung von Neuzulassungen bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges gesenkt. Anfang 1939 waren trotz einer gestiegenen Bevölkerungszahl nur noch 20 Anwälte, von denen acht gleichzeitig Notare waren, in Spandau ansässig.

 

Acht Rechtsanwälte, unter Einschluß von Hans Guttmann möglicherweise neun Rechtsanwälte, darunter vier Anwaltsnotare, die nach der Auffassung der Nationalsozialisten ganz oder teilweise ‚jüdisch’ waren, hatten im Frühjahr 1933 ihren Kanzleisitz in Spandau. Diese Rechtsanwälte hatten wie sämtliche ‚Juden’ vom Staat und ihren Mitmenschen Nachteile nicht dafür zu erdulden, was sie taten oder nicht taten, sondern alleine für das, was sie nach der nationalsozialistischen Rassenlehre waren. Von den neun Betroffenen erlitten vier einen verfolgungsbedingten Tod, drei flüchteten ins Ausland, ein Anwalt, der ‚Mischling’ war, konnte weiter praktizieren, und das Schicksal eines weiteren Anwalts ist unbekannt. Der am Amtsgericht Spandau zugelassene Rechtsanwalt und Notar Justizrat Ludwig Chodziesner in Falkensee gehörte ebenfalls zu den Opfern des Nationalsozialismus. Der Leidensweg der Spandauer ‚Juden’ und der ‚jüdischen’ Anwälte und Notare in Spandau verlief über mehrere Stufen.

 

Das Jahr 1933 brachte vor dem Hintergrund der Umwälzung der Verhältnisse in Deutschland auch eine Reihe von Änderungen im Kreise der Spandauer Rechtsanwälte und Notare. Im Sommer 1933 erhielten die beiden in Spandau zugelassenen ‚jüdischen’ Anwälte Hans Guttmann, dessen Anschrift im Jahre 1932 Schönwalder Straße 95-97 in Spandau und im Jahre 1933 Siegmundshof 12 in Tiergarten war, und Maurice Hirschfeld, im Jahre 1932 Potsdamer Straße 35 und im Jahre 1933 Potsdamer Straße 42/43 in Spandau ansässig, die bereits seit April 1933 nicht mehr vor Gericht auftreten durften und von denen Hans Guttmann eventuell bereits seit Anfang 1933 seinen Sitz nicht mehr in Spandau hatte, endgültig Berufsverbot; ab 1934 war Guttmann nicht mehr in den Berliner Adressbüchern verzeichnet und sein weiteres Schicksal ist ungewiß, während Hirschfeld Ende 1938 nach Palästina flüchtete, wo über sein späteres Leben nichts bekannt ist. Dr.Arthur Karsen und Alfons Loewe mußten im Juni 1933 ebenfalls aufgrund ihrer rassischen Einordnung das Notaramt aufgeben; sie konnten bis auf weiteres Anwälte bleiben. Das gleiche Schicksal hatte Ludwig Chodziesner in Falkensee, dem auch das Notaramt abgenommen wurde. Mit Assessor Günter Legart, der im Februar 1933 am Kammergericht zugelassen wurde, und Assessor Franz Sonnenschein, der im September 1933 die Zulassung am Landgericht Berlin erhielt, kamen zwei weitere junge Anwälte nach Spandau. Nachteile zu vermeiden, war oberstes Gebot; am 23.März 1933 hielt im Grundbesitzerverein Spandau dessen Syndikus, Rechtsanwalt Dr.Günther Böhmer, einem Bericht in der „Spandauer Zeitung“ zufolge einen Vortrag „zu dem aktuellen Thema, wie sich der Eigentümer zu Tumultschäden zu verhalten hat“. Im Zuge der deutschlandweiten Boykottaktion gegen ‚Juden‘ am 1.April 1933 wurde der Spandauer Marktplatz durch SA-Leute besetzt, die den Zutritt zu Geschäften mit ‚jüdischen’ Inhabern verwehrten und ‚Juden’ mißhandelten. Die Judenpolitik des ‚Dritten Reiches’ hatte an diesem Tage ihren öffentlichen Auftakt. Für den Berliner Gauleiter Dr.Joseph Goebbels war die Aktion ein „imponierendes Schauspiel“, für die Betroffenen der Beginn des Schreckens. Der Königsberger Anwalt Dr.Paul Ronge schrieb:  „Es war die große, deutliche, unübersehbare Demonstration: Der Rechtsstaat ist zu Ende.“ Die Spandauer Geschäftswelt stellte sich auf die neuen Verhältnisse ein; am 3.April 1933 erschien in der „Spandauer Zeitung“ eine Anzeige von Elisabeth Leske, Schönwalder Straße 108 a, Inhaberin eines Geschäfts für Handschuhe, Strümpfe und Unterkleidung, mit der Überschrift „Kauft bei Christen!“, und ein anderer Unternehmer, Schlachtermeister Josef Wrsovsky, Streitstraße 30, wies darauf hin, „daß ich nicht mit jüdischem Kapital arbeite, sondern wie ich mich gegenüber der Kreisgeschäftsstelle der N.S.D.A.P. ausweisen konnte, nur mit eigenem Kapital.“ Ein ähnlicher Fall war die Firma Carl Marzahn Nachf. GmbH, Stresowplatz 13, zu deren Gunsten in einer Zeitungsnotiz erklärt wurde, der Streikposten am 1.April 1933 habe nicht ihr, sondern einem ‚jüdischen’ Schneidermeister gegolten. Die „Spandauer Zeitung“ druckte eine Liste der in Spandau und Falkensee zugelassenen ‚arischen’ Anwälte.

 

Erheblich waren die wirtschaftlichen Gewinne, die dem ‚arischen’ Teil der Spandauer Anwaltschaft durch den erzwungenen Berufsverlust der ‚jüdischen’ Kollegen zufallen mußten. Wenn in Spandau rund ein Drittel der Rechtsanwälte und Notare im wesentlichen in drei Schritten im Frühjahr 1933, Ende 1935 und Herbst 1938 ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten und in diesem Umfang Mandate und Honorare aufzugeben hatte, werden daraus die Größenordnungen der Vorteile der übrigen Anwälte und Notare erkennbar. Aus dem Unglück von Berufskollegen Nutzen zu ziehen, ist ihnen von alleine durch die höhere Gewalt des Staates zugefallen, ohne sich selbst die Hände schmutzig machen zu müssen; sie brauchten nicht wegzunehmen, es genügte zu nehmen. Zumindest ein moralfreies Gewinnstreben von ‚arischen’ Anwälten wie in den Fällen eines Ankaufs von Kanzleien verfolgter Kollegen unterhalb ihres Verkehrswertes mit Ausnutzung der Notlage der einen Seite durch die andere Seite ist für Spandau nicht festzustellen. In ganz Deutschland gab es nach 1933 fast keine Hilfe für die verfolgten, entrechteten und ermordeten Mitbürger. Die Anordnungen des gleichen Staates, der den Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ verkündete, brachten die Bürger dazu, ihren Wunsch, heil und unbeschadet durch diese Zeit zu kommen, in den Vordergrund zu stellen. Es gab nicht viele, über die mit den Worten Ernst Wiecherts gesagt werden konnte: „Des Reiches Schande war nicht seine Schande.“ Im Gegenteil konnten sich Neid und Mißgunst mit der Unterstützung durch die Rassenpolitik des Staates und der Partei frei entfalten. Die Beobachtung Kurt Tucholskys (1890-1935) im Jahre 1921 schien sich zu bestätigen über „die Honoratioren der kleinen Stadt – all das hat eine dumpfe Wut gegen den geistig flinkeren Juden und benutzt mit Wonne die Gelegenheit, dem lästigen Konkurrenten eins auszuwischen.“ Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte sich für viele Anwälte, wie der ‚jüdische‘ Küstriner Anwalt Siegfried Neumann meinte, die „Rassenfrage...als Kassenfrage entpuppt.“ Ihren Ausdruck fand diese Haltung in einer Beschwerde, die ein Spandauer Rechtsanwalt am 8.Mai 1933 dem Preußischen Justizministerium einreichte, weil ‚jüdische’ Kollegen ihre Praxisschilder noch nicht entfernt hätten und ihm deshalb bereits ein „Schaden“ entstanden sei. In den Folgejahren wurde den Spandauer ‚Juden’ ihre Unerwünschtheit von Staat und Partei durch Gesetze und Schikanen ständig vor Augen gehalten. Aus allen Richtungen wurden die ‚Juden’ unter Druck gesetzt, und auch von der christlichen Kirche war keine oder nur wenig Hilfe zu erwarten. Im Gemeindekirchenrat von St.Nikolai hatte die von den Nationalsozialisten geförderte Bewegung der Deutschen Christen, die im Jahre 1932 vom Spandauer Pfarrer Fritz Kessel mitbegründet worden war, seit den Kirchenwahlen Ende 1932 die Mehrheit, und waren die Handlungsspielräume der Minderheit beschränkt, die sich an den seit Ende 1931 in Spandau tätigen Pfarrer und Superintendenten Martin Albertz (1883-1956) anlehnte, der im ‚Dritten Reich’ zur regierungskritischen Bekennenden Kirche gehörte. Auch Pfarrer Wilhelm Philipps (1891-1982), der von 1932 bis 1939 dem Johannesstift vorstand, war Mitglied der NSDAP und der Bewegung der Deutschen Christen, und in der Apologetischen Centrale des Stiftes war seit 1932 der Theologe Walter Künneth (1901-1997) tätig, der im Jahre 1935 in seinem Buch „Antwort auf den Mythus“ die Judenfeindlichkeit der Nationalsozialisten unterstützte. Die Atmosphäre im Bezirk zeigen die Worte, mit denen Inge Deutschkron von ihrer ‚jüdischen‘ Tante Elsa Hannes erzählte, der in Spandau mit ihrem Ehemann Arthur Hannes ein Geschäft für Herren- und Knabenbekleidung in der Schönwalder Straße 90 gehörte, und die beide 1942 von Berlin nach Riga deportiert wurden: „In dem kleinen Spandau kannte sie jeder. Anpöbeleien blieben nicht aus. Wenige wagten, ihrer Sympathie Ausdruck zu geben.“

 

Von den seit Frühjahr 1933 verbliebenen ‚jüdischen’ Spandauer Anwälten hatte jeder einzelne wie alle diejenigen Berufsgenossen, die aufgrund der Ausnahmeregelungen weiter tätig sein durften, gemäß einer im Herbst 1933 erlassenen Regelung des Reichsjustizministeriums Anspruch darauf, nicht „in der gesetzmäßigen Ausübung seines Berufes gehindert oder beeinträchtigt“ zu werden. Im nationalsozialistischen Alltag wurde dieser Personenkreis dennoch in seiner Tätigkeit durch Maßnahmen wie die Bedrohung von Mandanten und die Versagung öffentlicher Aufträge erheblich eingeengt. Der Rückgang der Zulassungen ‚jüdischer’ Anwälte in Spandau bereits in den letzten Jahren vor dem gesetzlichen Berufsverbot belegt deutlich, wie wenig erfreulich ihre Erlebnisse gewesen sein konnten. Mit Ausnahme von Dr.Arthur Karsen flüchteten alle ‚jüdischen’ Anwälte aus Spandau, noch bevor ihnen der Gesetzgeber Ende 1938 die Weiterarbeit untersagte.

 

Anfang 1934 waren 26 Rechtsanwälte, davon 13 Notare, in Spandau ansässig. Die Gewaltanwendung gegenüber den ‚jüdischen’ Anwälten und Notaren seit Frühjahr 1933 hatte entgegen den Wunschvorstellungen der Nationalsozialisten wenig Entlastung für die Überfüllung der freien Rechtsberufe gebracht, und dieses Zwischenergebnis erklärt auch ein Stück weit die in Deutschland herrschende Stimmung in radikaleren Gruppen der Nationalsozialisten wie in Teilen der SA, die Revolution entgegen den Beteuerungen Hitlers im Sommer 1933 noch nicht für abgeschlossen und weitere Repressalien für notwendig zu halten. Hinsichtlich der Zahl der Rechtsanwälte war in Spandau nach einem Jahr der Regierung der NSDAP ein Stand erreicht, der demjenigen von Anfang 1933 entsprach, und lediglich die Zahl der Notare war auf den Stand von Anfang 1928 zurückgeworfen.

 

Rechtsanwalt Dr.Böhmer wechselte Ende 1933 die Zulassung vom Landgericht Berlin zum Kammergericht und Rechtsanwalt Wüllner wählte Anfang 1934 statt der Zulassung am Kammergericht diejenige am Landgericht Berlin, zwei Monate später auch am Amtsgericht Spandau.

 

Im Jahre 1934 hielten sich ein Todesfall und eine Neuzulassung die Waage; zwei Anwälte zogen in andere Berliner Bezirke um.

 

Rechtsanwalt und Notar Justizrat Max Freiherr von Lyncker, Potsdamer Straße 21, über den anläßlich seines 70.Geburtstages in der „Spandauer Zeitung“ geschrieben worden war, er „übt seinen Beruf noch in unverminderter Rüstigkeit und Geistesfrische aus“, verstarb mit 79 Jahren am 23.April 1934. Er war ein Anwalt aus der Gruppe von fünf Kollegen in Spandau, die in diesem Jahr ihre Zulassung noch aus der Zeit des Kaiserreichs hatten herschreiben können (Alfons Loewe seit 1896, Freiherr von Lyncker seit 1900, Alexander Kranich und Dr.Johannes Hentschel seit 1909, Dr.Arthur Karsen seit 1912). Ein Jahr vor seinem Tode hatte der Senior der Spandauer Anwaltschaft den Ereignissen in Deutschland seinen Segen erteilt; am 23.April 1933 gab Freiherr von Lyncker, wie die „Spandauer Zeitung“ berichtete, auf einer Tagung des Kreis-Kriegerverbandes in den Spandauer Germaniasälen, Stresowplatz 19, „dem Jubel aller wahrhaft deutschen Herzen über des Vaterlands Auferstehung beschwingten Ausdruck. Er schloß seine Rede mit tiefempfundenen Dank an den verehrten Ehrenpräsidenten des Kyffhäuserbundes, den Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten von Hindenburg, der immer im treuen Glauben an Deutschland uns voranlebte, und an den jungen Reichskanzler Adolf Hitler, der den Glauben an des Reiches Auferstehung in die Herzen der einst so hoffnungsarmen Jugend hämmerte und diesen Glauben als ihr Ziel durchkämpfte.“

 

Die Rechtsanwälte Dr.Karl Baeseler, der die Sozietät mit dem aus rassischen Gründen in Verfolgungsgefahr geratenen Dr.Arthur Karsen löste und noch in den ersten Nachkriegsjahren in Berlin anwaltlich tätig war, und Günter Legart, der nach 1945 Anwalt in Kitzingen/Main und München war, wechselten im Laufe des Jahres 1934 mit ihrem Sitz vom Außenbezirk Spandau in die Mitte Berlins.

 

Der ehemalige Spandauer Stadtrat Dr.Richard Münch trat 45jährig Ende 1934 in die Anwaltschaft ein. Geboren am 31.August 1889 in Altenburg, war er im Frühjahr 1917 zum Assessor im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main ernannt worden und hatte im Sommer 1917 die Anwaltstätigkeit am Amtsgericht Crossen/Oder aufgenommen. Im Frühjahr 1919 wurde die Zulassung in Crossen gelöscht und er wurde daraufhin am Amtsgericht Lichterfelde zugelassen. Im Sommer 1921 wurde Dr.Münch aus der Liste der Anwälte ausgetragen. Dr.Münch stand anschließend durchgehend im Dienst des Bezirksamts Spandau, wurde noch Ende März 1933 zum Mitglied des Berliner Stadtausschusses bestimmt und war 1934 entlassen worden, bevor er Ende 1934 in die Rechtsanwaltschaft am Landgericht Berlin aufgenommen wurde, im Frühjahr 1935 zusätzlich am Amtsgericht Spandau. Auch er bediente sich mindestens in einem Fall, wie sich durch Forschungen Philipp Hackländers ergeben hat, vorbehaltlos nationalsozialistischer Rhetorik. In einem Unterhaltsrechtsstreit in den Jahren 1936 und 1937 vor dem Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin vertrat Dr.Münch einen beamteten Ingenieur, der sich nach rechtskräftiger Anfechtung der Ehe gemäß § 1333 BGB wegen Schizophrenie der Ehefrau gegen deren Unterhaltsforderung zur Wehr setzte. Zur Begründung der Auffassung, sein Mandant müsse keinen Unterhalt zahlen, wies Dr.Münch auf die „Neueinstellung von Staat und Volk zu diesen Problemen“ hin, und ihnen müsse „auch durch die Rechtsprechung Rechnung getragen werden. Die jetzt Allgemeingut gewordenen, früher nur einen Teil des Parteiprogramms der NSDAP. bildenden Anschauungen bedeuten auch einen Zwang für den einzelnen Staatsbürger, sich denselben anzupassen und daraus die erforderlichen Folgerungen für sich selbst zu ziehen...“. Wegen der Unerwünschtheit von Ehen, aus denen erbkranker Nachwuchs hervorgehen könne, müsse auch die Unterhaltspflicht entfallen. Nachdem der Ehefrau entgegen der Vorentscheidung des Amtsgerichts durch das Landgericht das Armenrecht für die Klage bewilligt worden war, hielt Dr.Münch in einem weiteren Schriftsatz an seiner Auffassung fest: „Nach unseren heutigen Anschauungen ist der Richter an die Anwendung materieller Gesetzesbestimmungen aus der Zeit vor der Machtergreifung daher nur bedingt gebunden. Sie sind nicht anzuwenden oder anders auszulegen, wenn ihre unmittelbare Anwendung nach richterlicher Überzeugung dem gesunden Volksempfinden und damit den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung widersprechen würde...“. Dr.Münch war zuerst unter der bisherigen Privatanschrift Roonstraße1 und danach seit 1935 Potsdamer Straße 40 bzw. nach der Straßenumbenennung im Jahre 1939 Carl-Schurz-Straße 39 bis Kriegsende ansässig.

 

Im Spandauer Umland gab Hermann Picht Anfang 1934 die Zulassung am Amtsgericht Spandau auf und ging von Falkensee nach Berlin, wo er bis Kriegsende Anwalt blieb. Rechtsanwalt und Notar Hans Genrich in Velten verlor im Herbst 1933 nach Maßgabe des Berufsbeamtengesetzes das Notaramt, konnte jedoch offensichtlich die Aktenlage zu seinen Gunsten ändern und wurde im Frühjahr 1934 in Velten wieder zum Notar berufen. Im Sommer 1934 wurde Assessor Heinz Naatz zur Anwaltschaft am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin mit Sitz in Falkensee zugelassen. Von Berlin-Mitte nach Falkensee mit Zulassung am Amtsgericht Spandau siedelte im Frühjahr 1935 Rechtsanwalt Dr.Hermann Schmidt-Sodingen über, der im Sommer 1935 zum Notar ernannt wurde. Die Einwohnerzahl in Falkensee stieg von 4.626 im Jahre 1925 auf 15.915 im Jahre 1933 und 24.824 im Jahre 1939 und gleichzeitig die Aussicht auf lohnenswerte anwaltliche Tätigkeit.

 

Auch im Jahre 1935 gab es trotz des Ausscheidens weiterer ‚jüdischer’ Anwälte nicht mehr Zulassungsrückgaben als Neuzugänge in der Spandauer Anwaltschaft. Es begannen in diesem Jahre zwei neue Anwälte ihre Berufstätigkeit in Spandau. Im Frühjahr 1935 wurde Assessor Dr.Karl Priestoph am Landgericht Berlin zugelassen, kurz darauf auch am Amtsgericht Spandau. Im Sommer 1935 erhielt Assessor Dr.Joachim Liefeldt die Zulassung am Kammergericht, der sich mit Rechtsanwalt Dr.Richard Münch zur Berufsausübung in einer Sozietät zusammenschloß. Auf die ‚nicht-arischen’ Anwälte und Notare in Spandau wirkte sich im gleichen Jahr der erhöhte Druck der Nationalsozialisten aus. Im Rahmen des Nürnberger Parteitages der NSDAP Anfang September 1935 waren, vorbereitet durch Propaganda in den Zeitungen und Pöbeleien auf den Straßen in den Wochen zuvor, die Rassengesetze verabschiedet worden. Reichsrechtsführer Dr.Hans Frank (1900-1946) erklärte in einer Rede auf dem Parteitag: „Es wird daher unser unverrückbares Ziel bleiben, den Juden im Laufe der Zeit aus der Rechtspflege immer mehr auszuschalten.“ Einige Anwälte verzichteten daraufhin auf ihren Beruf, andere hofften auf das Ausbleiben von weiteren Verschlechterungen. In Spandau wurde Rechtsanwalt Fritz Rosenbaum im Herbst 1935 in der Anwaltsliste gelöscht, der im Jahre 1934 Potsdamer Straße 35 in Spandau und im Jahre 1935 Schillerstraße 6 in Charlottenburg ansässig war; er emigrierte nach Palästina und kehrte in den fünfziger Jahren noch einmal für einige Zeit nach Spandau zurück. Rechtsanwalt Dr.Max Jacobi, zuletzt kanzleiansässig Nonnendammallee 101, gab Ende 1935 die Zulassung am Kammergericht zurück und starb 65jährig am 13.August 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt. Dr.Oskar Altenberg und Dr.Georg Hertzberg mußten entsprechend der gesetzlichen Regelung für ‚jüdische‘ Notare auf das Amt am 15.November 1935 Verzicht leisten.

 

In der Spandauer Umgebung waren in den Jahren 1936 bis 1938 mehrere Veränderungen zu verzeichnen. Im Sommer 1936 verzichtete der ‚jüdische’ Rechtsanwalt Ludwig Chodziesner in Falkensee auf die Zulassung; er starb im Alter von 81 Jahren am 13.Februar 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt. Dr.Friedrich Wilhelm Frackmann gab Ende 1936 die Zulassungen am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin zurück. Für den im Sommer 1937 verstorbenen Rechtsanwalt und Notar Hans Genrich wurde im Frühjahr 1938 Rechtsanwalt und Notar Emil Froesewitte aus Sommerfeld/Niederlausitz nach Velten versetzt, der am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin zugelassen wurde. Rechtsanwalt Karl Franz Fischer in Falkensee verstarb im Frühjahr 1938. Im Sommer 1938 wurde das Notaramt von Dr.Hermann Schmidt-Sodingen in Falkensee für erloschen erklärt, der nachfolgend Anwalt in Berlin war, und stattdessen wurde im Herbst 1938 Heinz Naatz zum Notar in Falkensee ernannt. Ende 1938 kam mit dem bisherigen Anwaltsassessor Alfred Schmitz ein weiterer Rechtsanwalt in Falkensee mit Zulassung am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin hinzu.

 

Ein Anzeichen der Haltung der Rechtsanwälte gegenüber dem Nationalsozialismus war die Mitgliedschaft in der NSDAP und dem BNSDJ. Hinsichtlich einer Mitgliedschaft in der Partei sahen sich die im Jahre 1933 bereits zugelassenen Anwälte im Regelfall keiner Erwartungshaltung ausgesetzt; die Mitgliedschaft im BNSDJ, die aber ebenfalls nicht erzwungen wurde, konnte für sie nach 1933 eine ausreichende Minimalkonzession an die Machthaber darstellen. Alle Mitglieder im BNSDJ hatten „die aus ihrer Eigenschaft als Diener am deutschen Recht und als Angehörige der nationalsozialistischen Rechtswahrerorganisation des Deutschen Reiches sich ergebenden Pflichten –insbesondere der Ehrenhaftigkeit, der Kameradschaft, der Disziplin und des Eintretens für die nationalsozialistischen Ziele- treu zu erfüllen.“ Für Berlin bzw. für Spandau lassen sich ungefähre Größenordnungen bzw. genaue Zahlen der Mitgliedschaft errechnen. Am 1.Januar 1937 waren in Berlin 2.858 Rechtsanwälte zugelassen. Von ihnen galten noch 934 als ‚jüdisch’ und die übrigen 1.924 als ‚arisch’. Zum 15.Mai 1936 waren in Berlin, wie aus einem mit diesem Stichtag erstellten Verzeichnis hervorgeht, 1.729 Rechtsanwälte und Notare Mitglied des BNSDJ. Die Vereinigung hatte sich selbst die Bezeichnung „größte Juristenorganisation der Welt“ verliehen und ihren Blick im Frühjahr 1935 über Deutschland hinaus gerichtet, indem mit dem Aufbau einer „Weltkartei aller arischen Rechtsanwälte“ begonnen worden war. Der BNSDJ, der am 16.Mai 1936 in „NS-Rechtswahrerbund“ umbenannt wurde, hatte im Frühjahr 1936 innerhalb der Berliner Anwaltschaft einen Zugehörigkeitsgrad von ungefähr 90% unter den ‚arischen’ Standesmitgliedern erreicht, der erheblich über dem reichsweiten Durchschnitt gelegen haben dürfte, weil im Jahre 1936 in Deutschland lediglich 2/3 der ‚arischen’ Anwälte Mitglied des BNSDJ gewesen sein sollen. Im BNSDJ handelte es sich teilweise um ehemalige Mitglieder des Anwaltsvereins, die im Jahre 1933 aufgrund dieser Eigenschaft kollektiv in den BNSDJ übernommen worden waren, teilweise um alte oder neue Mitglieder des BNSDJ, dem bis Anfang 1933 lediglich 4% der Anwälte angehört haben sollen. Für Einzeleintritte war bis zu dieser Zeit die Parteimitgliedschaft Voraussetzung. Vor allem den juristischen Nachwuchs suchten die Nationalsozialisten für sich einzunehmen; alle Referendare wurden durch Werbungsversuche zur Aufbauarbeit eingeladen und sie wurden auch von der Aufnahmesperre ausgenommen, die wegen des großen Andrangs im Sommer 1934 verhängt wurde. Im Jahre 1935 sollen ein Drittel der anwaltlichen Mitglieder des BNSDJ durch Einzeleintritt und zwei Drittel durch die Übernahme aus dem Anwaltsverein die Mitgliedschaft erworben haben. Auf diese Weise wurden Überzeugte und Mitläufer unter einem Dach vereinigt.

 

Die in Spandau ansässigen 18 Rechtsanwälte im BNSDJ, darunter acht Anwaltsnotare, waren in alphabetischer Reihenfolge:

 

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Leonhard Arand, Potsdamer Straße 13/14

-Rechtsanwalt und Notar Friedrich Baumert, Potsdamer Straße 46

-Rechtsanwalt Franz Binternagel, Nonnendammallee 101-110

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Günther Böhmer, Potsdamer Straße 21

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Otto Dames, Breite Straße 56

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Johannes Hentschel, Potsdamer Straße 41

-Rechtsanwalt und Notar Alexander Kranich, Markt 1

-Rechtsanwalt Dr.Ernst Ladwig, Nonnendammallee 101-110

-Rechtsanwalt Dr.Joachim Liefeldt, Potsdamer Straße 40

-Rechtsanwalt Dr.Richard Münch, Roonstraße 16

-Rechtsanwalt Dr.Karl Priestoph, Potsdamer Straße 47

-Rechtsanwalt Gottfried Raddatz, Nonnendammallee 101-110

-Rechtsanwalt Herbert Schiwek, Potsdamer Straße 37

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Schneider, Breite Straße 56

-Rechtsanwalt Franz Sonnenschein, Nonnendammallee 101-110

-Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt, Potsdamer Straße 46

-Rechtsanwalt Bernhard Wiedenhöft, Nonnendammallee 92

-Rechtsanwalt Karl-Friedrich Wüllner, Potsdamer Straße 21

 

Ferner waren zu dieser Zeit im Bezirk des Amtsgerichts Spandau mit Zulassung am Amtsgericht und am Landgericht Berlin Rechtsanwalt und Notar Hans Genrich in Velten sowie in Falkensee das Parteimitglied Rechtsanwalt und Notar Carl Franz Fischer, das Parteimitglied Rechtsanwalt Dr.Friedrich Wilhelm Frackmann, Rechtsanwalt Heinz Naatz und Rechtsanwalt und Notar Dr.Hermann Schmidt-Sodingen dem BNSDJ angeschlossen. Nicht Mitglied in einer Parteiorganisation sein konnten die im Frühjahr 1936 in Spandau noch ansässigen vier ‚jüdischen’ Rechtsanwälte Dr.Oskar Altenberg, Dr.Georg Hertzberg, Dr.Arthur Karsen und Alfons Loewe sowie der in die Kategorie ‚Mischling’ fallende Anwalt Arthur Goltzen. Von den vier Spandauer Rechtsanwälten, die im Jahre 1936 Parteimitglieder waren, hatten drei ihren Sitz in Siemensstadt und einer in der Altstadt. In der Altstadt trat der seit 1909 in Spandau tätige Rechtsanwalt und Notar Alexander Kranich mit Sitz am Markt 1 hervor, der Parteimitglied und zugleich durch die Leitung der seit 1.Juli 1934 bestehenden NS-Rechtsbetreuungsstelle im Spandauer Rathaus herausgehoben war. Kranich war Leiter des BNSDJ im Bezirk des Amtsgerichts Spandau. Die übrigen drei Parteimitglieder, Franz Binternagel, Dr.Ernst Ladwig und Bernhard Wiedenhöft gaben dem Nationalsozialismus unter der Spandauer Anwaltschaft das Gesicht; sie gehörten mit ihren Geburtsjahrgängen aus der Zeit um die Jahrhundertwende zum juristischen Nachwuchs und aufgrund ihrer Jugend waren sie charakteristisch für das ganze Land.

 

Bernhard Wiedenhöft schloß sich der ‚Deutschen Glaubensbewegung’ an, die eine Ersatzreligion für das Christentum mit Adolf Hitler in der Stellung eines Messias schaffen wollte; die Bewegung, die sich seit dem Frühjahr 1938 „Kampfring Deutscher Glaube“ nannte, ging in ihrer Abkehr von der traditionellen Kirche noch weiter als die ‚Deutschen Christen’, deren Anführer, Reichsbischof Dr.Ludwig Müller (1883-1945), unmittelbar nach der Ernennung am 27.September 1933 seine Auffassung über christliche Seelsorge in einem Gespräch mit der um Hilfe bittenden Mutter des inhaftierten und jahrelang zu Tode gefolterten Rechtsanwalts Dr.Hans Litten (1903-1938) mit den Worten kundgetan hatte: „Glauben Sie wirklich, daß es meine erste Tat als Reichsbischof sein könnte, einem Kommunisten zu helfen?...Die Kommunisten müssen überhaupt mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.“ Dr.Hans Litten hatte am 8.April 1931 in einer Befragung vor dem Schwurgericht des Landgerichts Berlin III unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Kurt Ohnesorge den Zeugen Hitler in schwere Bedrängnis gebracht, der am Ende seiner Aussage „geschrien wie eine ‚hysterische Köchin‘“ haben soll, und deswegen war nach 1933 das Schicksal des Anwalts besiegelt. In Spandau war Dr.Müller nach seiner Wahl zum Landesbischof von Preußen am 9.September 1933 ein begeisterter Empfang bereitet worden; vor dem Rathaus gelobte er in Anwesenheit von Bürgermeister Max Harrer vor einer Menschenmenge in einer Ansprache, „auch in die Kirchengemeinde frohe Glaubensgemeinschaft hineinzutragen, genau so wie der Führer durch die Schaffung des neuen Reiches echte und lebendige Kameradschaft in das Volk hineingetragen habe. Er schloss mit einem dreifachen Sieg-Heil auf das deutsche Volk und den Volkskanzler, worauf die Menge das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied anstimmte.“

 

Ein Vergleich zwischen Berlin und dem Bezirk Spandau führt für das Jahr 1936 mit aller Vorsicht zu der Einschätzung, es dürfte in den ersten drei Jahren der Herrschaft des Nationalsozialismus unter den Spandauer Rechtsanwälten einerseits die Zahl der Mitläufer etwas höher und andererseits die Zahl der überzeugten Nationalsozialisten etwas kleiner als unter den Berliner Anwälten insgesamt gewesen sein. In Berlin waren zu dieser Zeit 26,7% der Mitglieder des BNSDJ zugleich Parteimitglieder, in Spandau dagegen war es mit 22,2% ein etwas geringer Teil. Im Vergleich zu den Zahlen für das gesamte Deutsche Reich lag der Anteil an Parteimitgliedern im Jahre 1936 jedenfalls nicht über dem Durchschnitt der Anwaltschaft; in Deutschland sollen bis Januar 1933 rund 17% der Anwälte Mitglied der NSDAP gewesen und danach soll etwa ein Drittel der Anwaltschaft Parteimitglied geworden sein. Die NSDAP hatte, nachdem sie in Deutschland einen Mitgliederstand von 3,9 Mio. verzeichnen konnte, zum 1.Mai 1933 wegen des großen Andranges einen Aufnahmestop verhängt, der zum „Führergeburtstag“ am 20.April 1937 aufgehoben wurde; es sind deshalb ab Frühjahr 1937 auch im Kreise der Spandauer Rechtsanwälte weitere Parteimitgliedschaften anzunehmen. Überdurchschnittlich sowohl im Verhältnis zum Deutschen Reich insgesamt als auch gegenüber Berlin war dagegen die Teilnahme Spandauer Anwälte am BNSDJ. Von 19 Anwälten in Spandau, für die im Frühjahr 1936 eine Mitgliedschaft statthaft war, waren 18 Anwälte der Organisation angeschlossen. Lediglich Rechtsanwalt und Notar Wilhelm Voigt, dessen Kanzlei sich Klosterstraße 33 befand, war nicht Mitglied und bewirkte eine Minderung der Quote von 100% auf 94,7%, mit der die Nationalsozialisten zufrieden sein und hinter der sich die Mitläufer verborgen halten konnten.  

 

 

Um das Jahr 1936 gab Dr.Georg Hertzberg seine Kanzlei in Spandau auf, deren Anschrift seit 1928 Markt 5 gewesen war, und hatte in den folgenden Jahren seine Wohnung Schivelbeiner Straße 49, Prenzlauer Berg; er starb nach der Deportation 69jährig am 29.Oktober 1942 im Konzentrationslager Auschwitz. Alfons Loewe, der nach dem Ende November 1938 erfolgten Verlust der Anwaltszulassung am 28.Dezember 1938 zwei Tage vor seinem 70.Geburtstag Selbstmord beging und zu dessen Ehren am 1.Februar 1999 die Alfons-Loewe-Straße im Westen Spandaus benannt wurde, sowie der ebenfalls bis Ende November 1938 anwaltlich tätige Dr.Oskar Altenberg, der mit 49 Jahren am 28.Juni 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz kam und verschollen ist, verlegten im Laufe des Jahres 1937 ihren Bürositz von der I.Etage des Hauses der Adler-Apotheke in der Potsdamer Straße 40 an der Einmündung der Moritzstraße zum Markplatz in Spandau nach Charlottenburg, Meinekestraße 21.

 

Seit 1936 war eine Erhöhung der Anwaltszahlen in Deutschland nicht mehr möglich, weil nach den geänderten Berufsbestimmungen zusätzliche Anwälte lediglich nach Bedarf zugelassen wurden und ein solcher in Spandau zunächst nicht bestand. Alleine Todesfälle oder die freiwillige bzw. erzwungene Aufgabe der Anwaltstätigkeit bewirkten von Ende 1935 bis Herbst 1938 Änderungen im Kreise der Spandauer Anwälte. Die Zahl der Notare in Spandau war durch die Todesfälle und die Berufsverbote sowie den Verzicht auf Neuzulassungen Anfang 1936 mit zehn Anwaltsnotaren wieder auf einen Stand gesunken, der zuletzt Ende 1920 erreicht gewesen war. Neue Notare waren, noch bevor im Jahre 1937 auch für diesen Beruf eine Bedürfnisprüfung eingeführt wurde, bereits seit Frühjahr 1932 in diesem Berliner Bezirk nicht mehr ernannt worden.

 

Rechtsanwalt und Notar Wilhelm Voigt, das einzige Nichtmitglied in der NSDAP oder dem Rechtswahrerbund unter den ‚arischen’ Spandauer Anwälten, starb mit 58 Jahren am 23.April 1937 in Spandau. Nach diesem Todesfall war die vollständige Gleichschaltung der Anwaltschaft in Spandau gesichert; das Ableben von Voigt fiel in die gleiche Zeit, in welcher im Süden Berlins der Schriftsteller Jochen Klepper (1903-1942) in seinem Tagebuch festhielt: „Staatliche Erfassung, Gliederung, Ordnung, Organisation erreichen den Höhepunkt, wenn die innere Ordnung verloren ist.“ In den folgenden Jahren des ‚Dritten Reiches’ waren sämtliche Spandauer Rechtsanwälte Mitglied der NSDAP oder des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes. Dr.Otto Dames gab im Herbst 1937 die Zulassung am Kammergericht zurück, um die Zulassung am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin zu erhalten. In den Jahren 1937 und 1938 hatte Rechtsanwalt und Notar Dr.Felix Baensch seinen Kanzleisitz im Höhenweg 9 auf der Weinmeisterhöhe, und zwar in einem für ihn 1934/1935 durch den Architekten Hans Scharoun (1893-1972) erbauten Haus. Ebenfalls in den Jahren 1937 und 1938 war Rechtsanwalt Helmut Böhrenz in Spandau mit der Büroanschrift Ruhlebener Straße 4 ansässig. Erster Anwaltsassessor, der nach neuem Berufsrecht in Spandau zur Anwaltschaft zugelassen wurde, war im Herbst 1938 Heinz Kranich, der Sohn des Führers der nationalsozialistischen Spandauer Anwaltschaft. Ende 1938 kam Otto Orschel zu den Anwälten in Spandau hinzu.

 

Bei der ‚Arisierung‘ von Grundvermögen in Spandau waren Anwälte auf beiden Seiten beteiligt, sowohl auf der Seite der Opfer als auch auf der Seite der Täter bzw. Nutznießer, einmal abgesehen von der Vertragsabwicklung in notarieller Funktion. Die beiden Rechtsanwälte und Notare Dr.Günther Böhmer und Karl-Friedrich Wüllner erwarben 1939/1940 gemeinschaftlich das mit einem Mietwohnhaus bebaute Grundstück Streitstraße 75a, das vorher der Witwe Fanny Lissner gehörte, die vor 1933 einige Jahre lang ein Schuhwarengeschäft in der Schönwalder Straße 78/79 geführt hatte, von Berlin am 17.März 1943 nach Theresienstadt deportiert wurde und dort am 10.November 1944 starb. Zu denjenigen, die ihr Eigentum aufgegeben mußten, zählte z.B. Rechtsanwalt Dr.Hans Friedmann, dem das Grundstück Alt-Kladow 16 gehörte, das er seit 1934 bis zu seiner Emigration nach Brasilien im Jahre 1937 auch bewohnte und das 1940/1941 vom Spandauer Kaufmann Max Wiese erworben wurde, der Fabrikant von Herrenbekleidung und Uniformen war. Neben Kladow und der Altstadt war Siemensstadt ein Schwerpunkt des ‚jüdischen’ Grundeigentums im Bezirk Spandau; Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt kaufte 1939/1940 die beiden mit Mietwohnhäusern bebauten Grundstücke Reisstraße 26 und Wehneltsteig 1 aus ‚jüdischer’ Hand. Rechtsanwalt Dr.Richard Münch verwaltete seit 1939 das bis Kriegsende noch nicht enteignete Grundstück Plantage 3, das der nach Amerika ausgewanderten Witwe des Zahnarztes Dr.Hermann Levy gehörte.

 

Die Arisierungen ‚jüdischer’ Betriebe betrafen in Spandau große Unternehmen wie die Firma Orenstein&Koppel AG in der Hamburger Straße 36-50 und mittelständische Betriebe wie das seit 1841 bestehende Kaufhaus Sternberg mit Hauptsitz in der Breiten Straße 21/22 oder die Adler-Apotheke in der Potsdamer Straße 40, deren Inhaber Julius Siegmann (1873-1944) war. Für ‚Arier’ eröffneten sich günstige Gelegenheiten wie seit der Inflationszeit nicht mehr.

 

Der Druck, das Land zu verlassen, erhöhte sich für ‚Juden‘ mit jedem Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft. In der jüdischen Gemeinde in Spandau hatten zionistische Gedanken, die mit der Befürwortung einer Auswanderung nach Palästina verbunden waren, traditionell keine Mehrheit; die meisten ‚Juden’ verhielten sich in den ersten Jahren des ‚Dritten Reiches’ abwartend und ebenso riet der Spandauer Rabbiner Dr.Arthur Löwenstamm (1882-1965) bis Ende 1938 den Mitgliedern der Gemeinde vom Verlassen Deutschlands ab. Die Zahl der ‚Juden’ in Spandau sank von 725 im Juni 1933 auf 625 im August 1935 und verringerte sich erst nach der massiven Radikalisierung des Antisemitismus im Laufe des Jahres 1938 auf 205 im Mai 1939.

 

Am 9.November 1938 fand noch einmal vor allen Augen im Namen des deutschen Volkes „Gewalt, hell ausgeleuchtet bei Tageslicht“, wie es Günter Grass ausdrückte, gegen Menschen und Sachen statt. Es „wurde selbst den letzten noch Gutgläubigen klar, was in Wirklichkeit gespielt wurde“, wie der Hamburger Oberlandesgerichtsrat Hans Segelken im nachhinein feststellte. Die Erinnerungen an die Ausschreitungen gegen ‚jüdische’ Menschen sowie deren öffentliche und private Einrichtungen, die an diesem Tag in Spandau wie im gesamten Land stattfanden, sind von Hilflosigkeit geprägt; zugleich wurde eine Gewöhnung der Bevölkerung an die Gewaltausübung bemerkbar. In Spandau wurde in der Nacht zum 10.November 1938 die Synagoge angezündet, Menschen wurden mißhandelt und Rabbiner Dr.Löwenstamm, der in der Feldstraße 11 wohnte, wurde verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Die Augenzeugin Frieda Breitzke (1909-2005) beobachtete vor einem Haus in der Potsdamer Straße, „in dem auch ein jüdischer Rechtsanwalt seine Praxis hatte“, folgendes: „Ein Mann setzte sich zur Wehr und wollte nicht mit. Nazis packten ihn an den Beinen und schleiften ihn die Treppe herunter. Schließlich warf man ihn auf den Wagen. Es war furchtbar.“ Den ‚Juden’ in Deutschland wurde aufgegeben, sowohl an den Staat eine „Sühneleistung“ in Höhe von einer Milliarde Reichsmark zu zahlen als auch für die Reparatur der an ihrem Eigentum angerichteten Schäden selbst aufzukommen, um die Versicherungswirtschaft zu entlasten. Von Staats wegen wurde durch die Führung des Reichsjustizministeriums angeordnet, gegen die Täter keine Verfolgung wegen der begangenen Straftaten zuzulassen; an Rechtsschutz für die Opfer war erst recht nicht zu denken. Auch zu diesem Zeitpunkt trat kein Richter oder Staatsanwalt von seinem Amt zurück. Ein tieferblickender Zeitbetrachter wie der ehemalige Diplomat Ulrich von Hassell (1881-1944), der um Deutschlands Ruf einer Kulturnation besorgt war, notierte nach den Vorfällen: „Seit dem Weltkriege haben wir noch niemals so an Kredit in der Welt verloren wie dieses Mal... Aber meine Hauptsorge ist nicht die Auswirkung im Auslande... Die wirklich schwere Sorge bezieht sich auf unser inneres Leben, das immer vollständiger und eiserner von einem solcher Dinge fähigen System erfaßt wird.“ Einige Monate später schrieb Thomas Mann (1875-1955) in einem Brief an seinen Bruder Heinrich Mann (1871-1950): „Wovon die Besseren unter den Deutschen zurückschaudern, das ist der moralische Abgrund, in dem sie zu versinken drohen, - die abscheuliche Verkommenheit im Sittlichen und Kulturellen.“

 

Die letzten ‚nicht-arischen’ Anwälte wurden bis Ende des Jahres 1938 aus ihrer Berufstätigkeit hinausgedrängt. Im Frühjahr 1938 wurde der Notarsitz von Arthur Goltzen, der sich ‚halb-arisch’ zu nennen hatte, nach Charlottenburg verlegt, und er war bis gegen Kriegsende weiterhin berufstätig. Der letzte noch in Spandau verbliebene ‚jüdische’ Anwalt, Dr.Arthur Karsen, hatte seine Kanzlei seit 1930 im Hause Markt 1, wo zuvor auch Arthur Goltzen bis zu seinem Weggang aus Spandau ansässig gewesen war und ab 1931 ebenfalls sein nationalsozialistischer Kollege Alexander Kranich sein Büro unterhielt. Es handelte sich um einen im Eigentum der Spandauer Bank eG stehenden Neubau, der an der Stelle des alten Rathauses entstanden war. Für Dr.Karsen kann ein großes Maß an Standfestigkeit unterstellt werden, um sich in diesem Umfeld zu behaupten. Er verlor am 30.November 1938 aufgrund der gesetzlichen Regelung seine Zulassung. Die Spandauer Justiz wurde zu diesem Zeitpunkt, wie der zeitgenössische Begriff lautete, ‚judenfrei’. Dr.Karsen kam mutmaßlich nach dem 9.November 1938 vorübergehend in das Konzentrationslager Oranienburg, jedenfalls ist im Frühjahr 1939 seine Auswanderung nach England erfolgt; das ihm gehörende Grundstück Kaiserstraße 30/32 ging in das Eigentum des Spandauer Kaufmanns Alwin Piller über, und Mieter der in diesem Hause freigewordenen Wohnräume wurden Kraftwagenführer Emil Bork und Dipl.Ing. Hermann Neugebauer. Dr.Arthur Karsen wurde 1947 britischer Staatsbürger, kehrte Anfang der fünfziger Jahre nur noch einmal vorübergehend nach Berlin zurück, um das Wiedergutmachungsverfahren zu betreiben, und starb drei Tage vor seinem 75.Geburtstag am 27.August 1956 in England.

 

 

Nach den endgültigen Berufsverboten für ‚jüdische’ Anwälte und durch den Verzicht auf weitere Zulassungen war am 1.Januar 1939 die Zahl der Anwälte in Spandau auf 20 gesunken; ein Stand, den es zuletzt Ende 1924 gegeben hatte und der einem Rückgang um 23% im Vergleich zum 1.Januar 1933 entsprach. Seit Anfang 1939 war das NSDAP-Mitglied Rechtsanwalt und Notar Alexander Kranich der Anwalt mit der längsten Niederlassungszeit in Spandau. Alte und junge Nationalsozialisten reichten sich die Hand und drängten die bürgerliche Mitte zusammen. Anfang 1939 erhielt Anwaltsassessor Hermann Pett die Zulassung am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin. Im Sommer 1939 wurde mit Karl-Friedrich Wüllner erstmals seit 1933 wieder in Spandau ein Anwalt auch zum Notar ernannt. Bevor sich die politisch zusammengeschmolzene Anwaltschaft an den ungehinderten Genuß der Früchte der Berufstätigkeit gewöhnen konnte, begann Deutschland den Zweiten Weltkrieg.

 

Im Laufe des Krieges verhängten die Strafjustiz der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die Sondergerichte und der Volksgerichtshof zunehmend drakonischere Strafen. In Spandau wurde Amtsgerichtsdirektor Karl Grebe, der im Jahre 1940 zum Präsidenten des Landgerichts Graudenz befördert wurde, vom bisherigen Oberamtsrichter Dr.Erich Muhra (1895-1972) aus Neuruppin gefolgt, der während des gesamten Krieges Offizier in der Luftwaffe war.  Die ohnehin nur noch auf dem Papier stehende richterliche Unabhängigkeit wurde 1942 aufgehoben. Der Alltag der Mehrheit des Volkes lief weiter, beeinträchtigt durch Lebensmittelrationierung und Luftalarme. Die Zahl der ‚Juden‘ in Spandau war im Sommer 1941 auf 162 gesunken. Am 1.September 1941 wurde der „Judenstern“ eingeführt. Seit Herbst 1941 wurden aus Berlin ‚Juden‘ an den östlichen Rand des deutschen Machtbereiches transportiert. Im August 1942 wurden die Gebrauchtwarenhändlerinnen Berta Bendt, Schönwalder Straße 103, und Frieda Bubath, Hasenmark 20, für die Verwertung von Möbeln und Hausrat der Deportierten aus Spandau vorgeschlagen. An den Kämpfen und den Judentötungen im Osten Europas nahmen auch Polizeiangehörige aus Spandau teil. Das von Februar bis Juni 1941 in Spandau stationierte Polizeibataillon 9 leistete nach Eröffnung des Rußlandfeldzuges bis zum Ende des Jahres 1941 „‚Pionierarbeit’ der Polizei auf dem Gebiet des Massenmords“, wie es in der einschlägigen Veröffentlichung von Stefan Klemp heißt, und brachte nach russischen Schätzungen bis zu 97.000 „Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge, Greise und Kranke“ um. Das im Februar 1941 in Spandau aufgestellte Polizeibataillon 320 führte von 1941 bis 1943 in der nördlichen Ukraine die Erschießung von ungefähr 45.800 Menschen durch. Mit anderen Worten töteten alleine diese beiden Einheiten eine Anzahl von Menschen, die fast der Gesamtheit der Einwohner von Spandau entsprach. Das aus Spandau stammende Infanterieregiment 67, das zur 23.Infanteriedivision gehörte, war eine der ersten deutschen Einheiten im Rußlandfeldzug, die wegen der Nichtbelieferung mit wintertauglicher Bekleidung durch die Heeresleitung am 3.September 1941 auf den Einfall kam, russischen Kriegsgefangenen rund 2.000 Mäntel abzunehmen, die dem Tod durch Erfrieren preisgegeben wurden. Zwangsarbeiter kamen in größerer Anzahl in die Spandauer Industriebetriebe und hatten im Regelfall schlechte Lebensbedingungen. Luftangriffe der Westalliierten trafen Spandau verstärkt seit 1943. Der Einmarsch der Roten Armee in die Reichshauptstadt 1945 brachte viel Unglück über eine Bevölkerung, die sich fast ausnahmslos unschuldig fühlte und in der Opferrolle sah.

 

Die Anhänglichkeit vieler deutscher Anwälte an Staat und Partei konnte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht erschüttern; im Februar 1940 äußerte der Berliner Rechtsanwalt und Notar Gerhard Westrick (1889-1957), „der Krieg sei nicht ernst zu nehmen.“ Im allgemeinen folgten die Anwälte ihren Berufspflichten und setzten sich in den verbliebenen Spielräumen für die Interessen der ihnen anvertrauten Menschen ein.

 

Anwälte wurden noch mehr als bisher vom Staat vereinnahmt. Zu den ersten Schritten zur Abschaffung der Eigenständigkeit der Anwaltschaft gehörte die „Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Reichs-Rechtsanwaltsordnung“ im Jahre 1943, durch die für die Dauer des Krieges die Ehrengerichtsbarkeit der Anwälte aufgehoben wurde und deren Aufgaben auf die für Beamten zuständigen Dienststrafgerichte übertragen wurden. Hitler hatte am 20.August 1942 gesprächsweise geäußert: „Ich bin der Auffassung, so wie der Richter eine Staatsperson ist, so muß es auch einmal der Anwalt werden! ...Ich bin der Ansicht, daß man abwechslungsweise einen Mann Anwalt und Richter sein läßt. Als Staatsdiener muß er das können.“ Reichsjustizstaatssekretär Curt Rothenberger (1896-1959) kündigte daraufhin im September 1942 Überlegungen an, „die Rechtsanwaltschaft...in irgendeiner Form näher als bisher an den Staat heranzuführen...“. Um die Personalsorgen der Justiz zu erleichtern, konnten Anwälte ebenfalls zwangsverpflichtet werden, im Staatsdienst zu arbeiten. Im Jahre 1941 wurde der Probedienst abgeschafft und der Anwärterdienst auf ein Jahr verkürzt. Für die Anwaltschaft wurde durch die „Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Reichs-Rechtsanwaltsverordnung“ im Frühjahr 1943 die Befugnis des Reichsjustizministers eingeführt, Rechtsanwälte nach Vollendung des 65.Lebensjahres in den Ruhestand zu versetzen.

 

Zum Beginn des Zweiten Weltkrieges waren in Spandau 20 Anwälte ansässig, von denen neun zugleich Notare waren. Auch Spandauer Anwälte leisteten Kriegsdienst. Hauptmann Gottfried Raddatz fiel mit 41 Jahren am 17.Juli 1941 in Rußland. Hauptmann Dr.Günther Böhmer erwarb im Herbst 1941 die Spangen zum Eisernen Kreuz 1. und 2.Klasse.

 

In den ersten Jahren nach Kriegsbeginn waren eine Reihe von Umzügen innerhalb Berlins und Anschriftenänderungen innerhalb des Spandauer Gerichtsbezirks zu verzeichnen. Mindestens zwei Anwälte zogen aus der bombengefährdeten Innenstadt in den Außenbezirk Spandau. Rechtsanwalt und Notar Dr.Felix Baensch wechselte im Laufe des Jahres 1940 mit seinem Kanzleisitz wieder zu seiner bisherigen Privatanschrift im Höhenweg 9 auf der Weinmeisterhöhe. Im „Geschäftskalender für den Reichsverkehr“ 1941 war Rechtsanwalt Dr.Ernst Reiling mit Sitz im Höhenweg 3 auf der Weinmeisterhöhe genannt.

 

Im letzten vor Kriegsende erschienenen Reichs-Telefonbuch 1942 mit Stand vom Oktober 1941 waren in Spandau folgende 20 Rechtsanwälte aufgeführt, von denen zehn zugleich Notare waren:

 

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Leonhard Arand, Carl-Schurz-Straße 38

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Felix Baensch, Höhenweg 9

-Rechtsanwalt und Notar Friedrich Baumert, Carl-Schurz-Straße 31

-Rechtsanwalt Franz Binternagel, Schuckertdamm 322

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Günther Böhmer, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Otto Dames, Carl-Schurz-Straße 39

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Johannes Hentschel, Carl-Schurz-Straße 37

-Rechtsanwalt und Notar Alexander Kranich, Markt 1

-Rechtsanwalt Heinz Kranich, Markt 1

-Rechtsanwalt Dr.Joachim Liefeldt, Carl-Schurz-Straße 39

-Rechtsanwalt Dr.Richard Münch, Carl-Schurz-Straße 39

-Rechtsanwalt Otto Orschel, Seeburger Straße 94

-Rechtsanwalt Hermann Pett, Ruhlebener Straße 4

-Rechtsanwalt Dr.Karl Priestoph, Carl-Schurz-Straße 29

-Rechtsanwalt Dr.Ernst Reiling, Höhenweg 3

-Rechtsanwalt Herbert Schiwek, Carl-Schurz-Straße 38

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Schneider, Breite Straße 56

-Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt, Carl-Schurz-Straße 31

-Rechtsanwalt Bernhard Wiedenhöft, Nonnendammallee 92

-Rechtsanwalt und Notar Karl-Friedrich Wüllner, Straßburger Straße 30

 

Ferner waren am Amtsgericht Spandau Rechtsanwalt und Notar Emil Froesewitte in Velten sowie Rechtsanwalt und Notar Heinz Naatz und Rechtsanwalt Dr.Alfred Schmitz in Falkensee zugelassen.

 

Der 31jährige Rechtsanwalt Heinz Kranich, im Amt eines Intendanturrates kriegsverpflichtet und zuletzt wohnhaft Schönwalder Straße 95-97, beging Selbstmord; er wurde am 20.Oktober 1941 im Spandauer Stadtforst tot aufgefunden. Anfang 1942 erhielt Anwaltsassessor Dr.Siegfried Brämer (1913-2013) die Zulassung am Amtsgericht Spandau und Landgericht Berlin, der in Berlin-Mitte ansässig war. Die Zulassung zur Patentanwaltschaft wurde im Frühjahr 1943 Dipl.-Ing. Otto Hammerer aus Spandau erteilt. Im Sommer 1943 gab Franz Binternagel die Anwaltszulassung zurück, der nach 1945 Wirtschaftsjurist war. Rechtsanwalt und Notar Karl-Friedrich Wüllner, Gefreiter in der Wehrmacht, starb mit 42 Jahren am 23.April 1944 in einem Lazarett in Wien. Zur Jahreswende 1944/1945 starb Rechtsanwalt und Notar Dr.Johannes Hentschel. Rechtsanwalt Dr.Ernst Reiling starb mit 59 Jahren am 26.April 1945.

 

Ruhmestaten Spandauer Anwälte in ihrer Berufsausübung gelangten nicht zur Kenntnis der Nachwelt. Im Sommer 1944 wurde Georg Schröder, ein Spandauer Mitglied der Arbeiterbewegung, vor dem Volksgerichtshof angeklagt und dann zum Tode verurteilt; einen Spandauer Anwalt soll seine Ehefrau nicht für die Vertretung ihres Mannes gewonnen haben.

 

VIII.Nach 1945

 

Das Land lag im Frühjahr 1945 in Trümmern. Der Wiederaufbau von Ruinen war eine jahrelange Aufgabe; ungefähr 36% der Bebauung des Bezirks Spandau waren zerstört. Der Bezirk war Teil des Berliner Besatzungssektors der Engländer und wurde von ihnen am 4.Juli 1945 übernommen. Ein englisches Militärgericht begann umgehend seine Tätigkeit; die erste Verhandlung richtete sich gegen den von den Russen nach der Einnahme des Bezirks eingesetzten ersten Leiter der politischen Abteilung der Spandauer Polizei, den 33jährigen Walter Dobrunz, der am 25.September 1945 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, und in der Urteilsbegründung erklärte nach einem Zeitungsbericht in der „Times“ der Gerichtsvorsitzende Oberstleutnant H.N. Gratton Doyle über die Handlungen des Angeklagten, er habe im Bezirk ein Terrorregime eingerichtet, das mit den schlimmsten Praktiken der Nationalsozialisten vergleichbar gewesen sei. Über die jüngere Vergangenheit legte sich der Mantel des Schweigens; eine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung der Geschichte von Spandau im ‚Dritten Reich’ wurde bisher nicht vorgenommen. In den ersten Jahren nach Kriegsende wurde eine Entnazifizierung wenig ernsthaft versucht. Ein Spruchkörper mußte wegen Unregelmäßigkeiten aufgelöst und der Vorsitzende aus seinem Amt entfernt werden. Ende 1947 wurden die Entnazifizierungsverfahren eingestellt; was sich in den Köpfen der Menschen bewegte, konnte ein demokratischer Staat nicht mit Zwang ändern wollen. Einige Streiflichter zeigen, wie weit noch in Spandau altes Denken verbreitet war. Um einen „Koffer mit persönlichen Gegenständen“ zurückzubekommen, den die Familie des über Theresienstadt in die Schweiz und nach Israel gelangten Kaufmanns Louis Salomon (1872-1955) in Spandau vor ihrer Deportation im Dezember 1942 Nachbarn zur Aufbewahrung gegeben hatte, soll es nach Kriegsende „massiver Intervention“ bedurft haben. In einem Strafverfahren vor dem Landgericht Berlin im Jahre 1948 aufgrund der Spandauer Vorgänge am 9./10.November 1938 berichtete eine Zeugin über ein gegen sie noch jetzt in Spandau betriebenes „regelrechtes Kesseltreiben von Verleumdungen“ durch ehemalige Nationalsozialisten, nachdem sie im Entnazifizierungsverfahren des Hauptscharführers im Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps Walter Gehrke über dessen Beteiligung an der Brandstiftung der Synagoge ausgesagt hatte. In einem Strafprozeß vor dem Landgericht Berlin im Jahre 1951 gegen zwei Mitglieder der Spandauer SA wegen der Gewaltexzesse im Frühjahr 1933 wurde der eine freigesprochen und der andere zu einer geringen Strafe verurteilt, und ein Verteidiger konnte sich zur Entlastung der Angeklagten auf eine gerechtfertigte Abwehr der SA gegen die Kommunisten berufen. In einem 1959 vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall eines bis 1945 beamteten und 1950 zunächst mit Arbeitsvertrag wiedereingestellten Studienrats für Deutsch und Geschichte, der in einer öffentlichen Versammlung der rechtsstehenden Deutschen Partei am 30.Januar 1953 in Spandau aus Anlaß des zwanzigsten Jahrestages der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler u.a. ein Bekenntnis zur deutschen Geschichte einschließlich der Zeit des Nationalsozialismus gefordert hatte, wurde dessen Entlassung letztinstanzlich nicht in der Form einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund, sondern lediglich in der Gestalt einer fristgemäßen Kündigung gebilligt. Nach der Trennung der Stadthälften im Zuge des Kalten Krieges war Spandau Teil der Insel West-Berlin, deren Lebensfähigkeit bis zur Wiedervereinigung Deutschlands umfangreich gestützt wurde.

 

 

Das Amtsgericht Spandau verlor durch den Zweiten Weltkrieg sein Gebäude, für das nach mehreren Zwischenlösungen 1953/1954 jenseits der Altstadt ein Neubau entstand, und büßte die örtliche Zuständigkeit für den Teil des Landkreises Osthavelland ein. Außerdem mußte in Deutschland das Vertrauen in die Rechtspflege wieder errichtet werden. Die Nationalsozialisten hatten ihre Regierungsmacht verloren, aber den von ihnen verkörperten Ungeist ließen sie in den Köpfen vieler Menschen zurück. Was vor 1933 begonnen hatte, war nach 1945 noch nicht beendet, nur ist jede Behörde, deren Angehörige seitdem im Verdacht stehen, die Menschenwürde nicht zu respektieren oder das Willkürverbot nicht zu beachten, für den Staat ein Schandfleck. Es wäre z.B. ein Gericht, in dem niedrigrangige Mitarbeiter der Verächtlichmachung ausgesetzt oder Bewerbungen für Staatsaufträge nach sachfremden Kriterien entschieden werden können, noch nicht in ausreichendem Maße vom Geiste des Grundgesetzes erfüllt. Bereits im Laufe des Jahres 1945 kam in Berlin eine Gerichtstätigkeit wieder in Gang. Die Rechtsprechung des Spandauer Gerichts, dessen Personal noch für eine Generation weitgehend mit den bereits am Ende des ‚Dritten Reiches‘ im Berliner Justizwesen tätigen Personen identisch war, erfüllte im Durchschnitt zuverlässig, manchmal mit Glanzlichtern, gelegentlich mit Irrtümern, im zivilrechtlichen Bereich, auf den es seit 1950 wieder ausschließlich beschränkt war, ihre Aufgabe, Teil der neuen demokratischen Rechtsordnung zu sein. Seit 1990 bestand erneut die Zuständigkeit für West-Staaken. Im Jahre 2004 hatte das Amtsgericht Spandau 125jähriges Jubiläum.

 

 

Auch für die Anwälte brach ein neuer Zeitabschnitt an. Nach dem Kriegsende waren die bisherigen Anwaltszulassungen durch Befehl der Alliierten Kommandantur sämtlich erloschen. Ab Ende Juni 1945 wurden in Berlin wieder die ersten Anwälte vorläufig zugelassen. Für jedes Bezirksgericht waren zu diesem Zeitpunkt nur zwei Rechtsanwälte vorgesehen. Die Zulassungen erfolgten zunächst durch die Alliierte Kommandantur, ab Ende 1945 durch den Vizepräsidenten des Kammergerichts und seit Sommer 1949 durch den Präsidenten der Anfang 1946 wiedererrichteten Berliner Anwaltskammer. Im Landgerichtsbezirk Berlin hatte es Anfang 1942 insgesamt 1.833 Anwälte gegeben, von denen 646 zugleich Notare waren. Etwa ein Drittel von ihnen konnte unmittelbar nach Kriegsende wieder eine Zulassung erhalten. Im Jahre 1946 waren 609 Anwälte in Berlin zugelassen, 1948 hatte sich die Zahl auf 543 verringert, 1949 stieg sie auf 914. Das erste Anwaltsverzeichnis für den Westen Deutschlands nach dem Krieg wies im Jahre 1948 für Berlin ungefähr 550 Rechtsanwälte aus, von denen lediglich sieben ihren Kanzleisitz in Spandau hatten. Unter ihnen befand sich die erste in Spandau niedergelassene weibliche Standesvertreterin, Frau Rechtsanwältin Lieselotte Maeder. Durch die Bombenzerstörungen in der Spandauer Innenstadt war das Angebot von Büroräumen geschrumpft und bestanden für die Anwälte ähnliche Versorgungsschwierigkeiten, wie sie auch alle anderen Teile der Bevölkerung hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten nur solche Anwälte eine neue Zulassung erhalten, die nicht Mitglied der NSDAP gewesen waren, sofern sie nicht noch durch Kriegsgefangenschaft an der Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit gehindert waren. Erst ab 1949 wurden die Anforderungen an die Zulassung ehemaliger Parteimitglieder verringert.

 

In Spandau waren im Jahre 1948 in alphabetischer Reihenfolge ansässig:

 

-Rechtsanwalt Günter Brinkmann, Achenbachstraße 14

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Hans Brücklmayer, Stresowplatz 16 a

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Otto Dames, Carl-Schurz-Straße 14

-Rechtsanwältin Lieselotte Maeder, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Richard Münch, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Teuber, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt, Carl-Schurz-Straße 31

 

Von den sieben Rechtsanwälten im Jahre 1948 waren drei bereits vor 1945 in Spandau ansässig, und zwar Hermann Todt seit 1920, Dr.Otto Dames seit 1924 und Dr.Richard Münch seit 1934. Von ihnen war Hermann Todt aufgrund der Zulassungsbeschränkungen einerseits und der Gebäudezerstörungen andererseits der einzige Anwalt, der vor und nach Kriegsende mit einer kurzen Unterbrechung seinen Kanzleisitz im gleichen Haus haben konnte.

 

Rechtsanwalt und Notar Dr.Felix Baensch starb mit 73 Jahren am 7.Februar 1951 in Spandau.

 

Alexander Kranich, bis 1945 der Führer der nationalsozialistischen Anwälte im Bezirk, konnte seine Zulassung erneuern, war zuletzt Prinz-Eitel-Weg 5 ansässig und in den letzten vier Monaten seines Lebens verwitwet, bevor er im Alter von 67 Jahren am 8.September 1951 in Spandau starb.

 

In West-Berlin wurde im März 1950 die Zahl von 1.000 Anwälten überschritten. Ende 1950 wurde der Berliner Anwaltsverein e.V. wiederbegründet. Die Rechtsanwaltskammer Berlin spaltete sich erst am 28.Mai 1953 in einen Ost- und einen West-Teil und war eine der letzten Bindungen zwischen den beiden Stadthälften, die sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges auflöste. In den fünf Jahren von 1948 bis zum 1953 stieg die Zahl der Anwälte in Spandau von sieben auf 17, von denen acht zugleich Notare waren.

 

In alphabetischer Reihenfolge hatten am 1.Dezember 1953 in Spandau ihren Sitz:

 

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Leonhard Arand, Carl-Schurz-Straße 31

-Rechtsanwalt und Notar Friedrich Baumert, Carl-Schurz-Straße 31

-Rechtsanwalt Heinz-Günther Brinkmann, Ruhlebener Straße 135

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Wolfgang Burhenne, Nonnendammallee 94

-Rechtsanwalt Bruno Coesfeld, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Otto Dames, Carl-Schurz-Straße 14

-Rechtsanwalt Kurt Friemel, Jungfernheideweg 23

-Rechtsanwalt Klaus Hahn, Wilhelmstraße 163

-Rechtsanwalt Dr.Joachim Liefeldt, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwältin Liselotte Maeder, Askanierring 8

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Richard Münch, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt Otto Orschel, Seeburger Straße 94

-Rechtsanwalt Dr.Wilhelm Reimann, Carl-Schurz-Straße 53

-Rechtsanwalt Fritz Rosenbaum, Carl-Schurz-Straße 14

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Schneider, Breite Straße 17

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Teuber, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt, Carl-Schurz-Straße 31

 

Von den 17 Anwälten im Jahre 1953 waren sechs bereits im Jahre 1948 in Spandau tätig gewesen. Von den elf Neuzugängen zwischen 1948 und 1953 waren fünf Rechtsanwälte, nämlich Dr.Leonhard Arand (seit 1922), Friedrich Baumert (seit 1924), Dr.Joachim Liefeldt (seit 1935), Otto Orschel (seit 1938) und Erwin Schneider (seit 1923) bereits bis 8.Mai 1945 in Berlin mit Sitz in Spandau zur Anwaltschaft zugelassen gewesen; ein weiterer, Fritz Rosenbaum, war von 1927 bis 1934 in Spandau dem Anwaltsberuf nachgegangen. Insgesamt hatten demzufolge zusammen mit Hermann Todt, Dr.Otto Dames und Dr.Richard Münch acht von 17 Anwälten am 1.Dezember 1953 bereits unmittelbar bis Kriegsende am 8.Mai 1945 ihre Niederlassung in Spandau. Von den übrigen acht Anwälten aus der Gruppe von 16 Anwälten mit Zulassung in Spandau am 8.Mai 1945 waren vier Anwälte in einen anderen Stadtteil (Dr.Karl Priestoph nach Wilmersdorf) bzw. das Gebiet der Bundesrepublik umgezogen (Dr.Günther Böhmer nach Hannover, Herbert Schiwek nach Neumünster, Dr.Siegfried Brämer nach Coburg) und zwei Anwälte (Bernhard Wiedenhöft und Hermann Pett) befanden sich Ende 1953 nicht in der Anwaltschaft, während Dr.Felix Baensch sowie Alexander Kranich 1951 verstorben waren.

 

In den seitdem vergangenen Jahrzehnten gingen die Niederlassungszahlen beständig in die Höhe. Die von den Nationalsozialisten eingeführten Beschränkungen für den Zugang zur Richterlaufbahn blieben im Grundsatz bestehen, dagegen wurden die im ‚Dritten Reich’ begründeten Einschränkungen für die Anwaltszulassung abgeschafft.

 

Eine Art von Vergangenheitsbewältigung innerhalb der Anwaltschaft gab es nach 1945 nicht, und erst Jahrzehnte nach Kriegsende sprachen sich erste Stimmen für Gedenken und Erinnerung an die Zeit des ‚Dritten Reiches‘ aus. Auch einige Richter, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten Führungsaufgaben hatten und nicht in der Justiz bleiben konnten oder wollten, kamen spätestens in den fünfziger Jahren ebenso wie Spitzenfunktionäre von Ministerialverwaltung und SS in der Anwaltschaft der Bundesrepublik unter. Die Stellung der ehemaligen Parteigenossen im Nachkriegsdeutschland war unangefochten; den 1921 der NSDAP beigetretenen, seit 1930 für die Partei im Reichstag sitzenden und von 1931 bis 1934 im Amt des Gauleiters von Pommern befindlichen Wilhelm Karpenstein (1903-1968), seit 1954 Rechtsanwalt und 1958 auch Notar in Grebenhain bzw. Lauterbach/Hessen, im Jahre 1960 in den von einer Gewerkschaft herausgegebenen ‚Arbeitsblättern für den Jugendgruppenleiter’ mit einem Satz in einem Artikel unter der Überschrift „Mörder unter uns!“ zu erwähnen, kostete die Gewerkschaft eine vom Bundesgerichtshof bestätigte Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 3.000 Mark.

 

Rechtsanwalt und Notar Hermann Todt starb mit 73 Jahren am 24.August 1955 in Spandau.

 

Seit dem Mauerbau 1961 war die Anwaltschaft in Spandau von der Mandantschaft aus dem Brandenburger Umland abgeschnitten.

 

 

 

In Spandau waren am 29.Februar 1964 in alphabetischer Reihenfolge folgende 20 Rechtsanwälte und Notare tätig:

 

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Leonhard Arand, Markt 4

-Rechtsanwalt und Notar Friedrich Baumert, Carl-Schurz-Straße 31

-Rechtsanwalt Claus Burhenne, Nonnendammallee 94

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Wolfgang Burhenne, Nonnendammallee 94

-Rechtsanwalt Bruno Coesfeld, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Otto Dames, Carl-Schurz-Straße 14

-Rechtsanwalt und Notar Klaus Hahn, Wilhelmstraße 163

-Rechtsanwalt und Notar Franz Kühn, Seegefelder Straße 18

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Joachim Liefeldt, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwältin und Notarin Lieselotte Maeder, Münsingerstraße 8

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Richard Münch, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwältin Laetitia Orschel, Seeburger Straße 94

-Rechtsanwalt Hermann Oxfort, Markt 4

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Wilhelm Reimann, Carl-Schurz-Straße 53

-Rechtsanwalt Georg Röhrbein, Carl-Schurz-Straße 23

-Rechtsanwalt Dr.Herbert Schmid, Carl-Schurz-Straße 14

-Rechtsanwalt und Notar Dr.Waldemar Spatz, Markt 12/13

-Rechtsanwalt Egon Spuhn, Plathweg 4c

-Rechtsanwalt und Notar Erwin Teuber, Carl-Schurz-Straße 58

-Rechtsanwalt Dr.Ulrich Wieland, Sophienwerderweg

 

Am wirtschaftlichen Wohlstand der ersten Nachkriegsjahrzehnte waren die Anwälte und Notare beteiligt; Berliner Anwälte konnten es sich erlauben, mit dem Finanzamt vor dem Bundesfinanzhof 1978 über die steuerliche Anerkennung von Gemälden zur Ausschmückung ihrer Kanzlei zu streiten oder eine Klage um einen Betrag von 6,-DM durch drei verwaltungsgerichtliche Instanzen bis 1981 zum Bundesverwaltungsgericht zu führen. Gegen Ende der siebziger Jahre wurde in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland vor einer „Anwaltsschwemme“ gewarnt, die dann auch wie erwartet eingetreten ist und deren Folgen nur vorübergehend durch den Sonderbedarf in Ost-Berlin und den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 gemildert wurden. Im Jahre 1973 wurde zuerst das Zurückbleiben des Entgelts des zivilrechtlich tätigen Anwalts gegenüber der Besoldung des Richters nachgewiesen, und in der Folgezeit vergrößerten sich die Einkommensunterschiede kontinuierlich. Im Juli 2004 waren in Berlin erstmals mehr als 10.000 Anwältinnen und Anwälte zugelassen. Das entsprach einem Verhältnis von einer Anwältin bzw. einem Anwalt auf 339 Einwohner und einer Anwaltsdichte, die mehr als dreimal so hoch war wie zur Zeit des Höchststandes vor dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1933. Weitere Steigerungen sind absehbar. In Spandau nahm die Zahl der Zulassungen in den letzten Jahrzehnten ebenfalls zu und verteilten sich die Orte der Kanzleien über den Kern der Altstadt hinaus noch weiter in alle Gegenden des Bezirks. Der erstmals im Jahre 1932 in Berlin diskutierte Zusammenschluß von Anwälten in größeren Sozietäten hat nach 1945 in Spandau nur in geringem Umfang stattgefunden. Ende 2007 waren ungefähr 125 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, davon drei mit einer Zweigstelle, in Spandau ansässig. Betrug das Verhältnis in Spandau im Jahre 1933 ungefähr ein Anwalt auf 5.634 Einwohner, trifft nunmehr ein Anwalt etwa auf 1.808 Einwohner.

 

Die Tradition Spandauer Anwälte, sich in der Politik zu betätigen, setzte sich nach 1945 fort. Zweiter Spandauer Bürgermeister der Nachkriegszeit wurde, nachdem der erste, von der Roten Armee verpflichtete Bürgermeister Fritz Warsow (1899-1974) nur wenige Tage amtierte, am 6.Mai 1945 Rechtsanwalt Dr. Richard Münch. Dr.Münch hatte das Bürgermeisteramt bis 11.Dezember 1946 inne; nach der ersten Nachkriegswahl zur Stadtverordnetenversammlung am 20.Oktober 1946 wurde er aufgrund veränderter Mehrheitsverhältnisse abgelöst. Er blieb in der Bezirkspolitik, gehörte zu den Mitbegründern der CDU in Spandau, wurde am 22.Juni 1965 zum Berliner Stadtältesten ernannt und starb am 6.Oktober 1968. Die Richard-Münch-Straße in Staaken erhielt am 7.Februar 1997 seinen Namen.

 

Ebenfalls für die CDU tätig war der gebürtige Spandauer Ernst Benda (1925-2009), der von 1951 bis 1954 Fraktionsvorsitzender der Partei in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung war, im Jahre 1956 Rechtsanwalt und später u.a. von 1971 bis 1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichts wurde.

 

Für spätere Jahrzehnte wäre der in Spandau ansässige Rechtsanwalt und Notar Hermann Oxfort (1929-2003) zu nennen, der 1957 Rechtsanwalt wurde und in die Kanzlei von Dr.Leonhard Arand eintrat. Er hatte sich bereits in den sechziger Jahren in der Tätigkeit des justizpolitischen Sprechers der FDP einen Namen gemacht. Von 1975 bis 1976 und 1983 bis 1985 war Oxfort Justizsenator in Berlin.

 

Die Vor- und ersten Nachkriegsjahrgänge der Spandauer Anwaltschaft verstarben nach und nach, unter ihnen Otto Orschel am 2.September 1963, Friedrich Baumert am 12.November 1964, Dr.Leonhard Arand am 14.Mai 1967, Dr.Joachim Liefeldt am 20.August 1968, Dr.Otto Dames, der auf fast 47 Jahre Anwaltstätigkeit in Spandau zurückblicken konnte, am 3.Juli 1971, Dr.Herbert Schmid am 17.März 1972, Klaus Hahn am 5.Juli 1980, Erwin Teuber am 16.April 1985, Dr.Waldemar Spatz am 25.September 1988, Franz Kühn am 4.April 1990, Dr.Wilhelm Reimann am 30.Dezember 1990 und Lieselotte Dames-Maeder am 5.Januar 1998.

 

Die Anwaltschaft, die in den letzten Jahrzehnten ihre Stellung im Rechtssystem aufgrund der wandelnden Anforderungen und Ausprägungen des Berufsbildes zu bestimmen hatte, ist auf die Vorgaben des Gesetzgebers angewiesen. Durch die Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959 wurde für den Rechtsanwalt festgelegt, „ein unabhängiges Organ der Rechtspflege“ zu sein. Die freiheitliche Minderheitsmeinung, die z.B. der Münchener Rechtsanwalt Valentin Heins (1894-1977) vertrat, konnte sich nicht durchsetzen; er hatte in einem Artikel in der ‚Neuen Juristischen Wochenschrift‘ geäußert: „Organ der Rechtspflege kann der Rechtsanwalt niemals in einem Gemeinwesen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen sein. Nur auf den Anwalt in einem totalitär aufgebauten Staat würde der Begriff passen.“ Ein Anwalt hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes „ebenso wie der Richter kraft seines Berufes bei der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung mitzuwirken und ist damit Träger wichtiger öffentlicher Aufgaben.“ Gegenüber den Gerichten helfen auch den Anwälten ihre Grundrechte; ein Anwalt darf dem Gericht „Willkür“ vorwerfen, wie 1998 das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte, oder nach einem Urteil des Anwaltsgerichtshofes Saarland von 2002 die Kritik an einem Urteil in die Worte fassen, es sei „so falsch, dass man sich wundert, dass ausgebildete Juristen an der Rechtsfindung beteiligt waren.“ Unterstützung des freien Berufes und Abgrenzung zum Gewerbe wird von der Seite des Gesetzgebers aus in der fortschreitenden Geschichte der Bundesrepublik seltener erkennbar. Es scheint, als ob der Anwalt immer dann Freiberufler ist, wenn es um Rechte geht, und immer dann, wenn es um Pflichten geht, Organ der Rechtspflege. „Ohne irgendwelche Möglichkeit, mit ihren Gründen gehört zu werden, ohne Schutz bei der Verwaltung, die bei festlichen Gelegenheiten die Anwaltschaft stets als notwendiges Glied der Rechtspflege, als gleichberechtigten Faktor feiert, muß die Anwaltschaft einsehen, daß sie auf ihre eigene Kraft angewiesen ist.“ Diese Worte schrieb der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins Justizrat Dr.Albert Pinner (1857-1933) im Jahre 1928, und sie scheinen in der Gegenwart nicht unzeitgemäß zu sein.  Die Politik hilft, indem Zäune niedergelegt werden und allen Anwälten der gleiche Weidegrund eingeräumt wird. Durch die wachsenden Unterschiede innerhalb der Anwaltschaft kann sie wenigstens von sich in Anspruch nehmen, ein annähernd getreues Spiegelbild der Gesellschaft zu sein, in der sie lebt.

 

Quelle

Reinhard Hillebrand: „Spandauer Justiz“, Bd.1-2, Berlin 2008

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